Art Deco and Modernist Carpets

Autor/en: Susan Day
Verlag: Thames & Hudson
Erschienen: London 2002
Seiten: 224
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 39.95 englische Pfund
ISBN: 0-500-51081-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2002

Besprechung:
Europäische Teppiche im 20. Jahrhundert – das ist ein vielschichti-ges, interessantes und bisher wenig untersuchtes Thema. Eines aber ist jedenfalls gewiß: Am Anfang dieses Themas steht William Mor-ris, war er doch einer der ersten Europäer, der den Teppich als eine Kunstform erkannte. Doch William Morris war, obwohl er im aus-gehenden 19. Jahrhundert die Arts-and-Craft Bewegung begründete und damit eine Revolution von Kunst und Kunsthandwerk in fast al-len westlichen Ländern auslöste, noch ganz dem traditionellen, ori-entalischen Teppich verhaftet. William Morris war wissenschaftli-cher Berater bei den Teppichaquisitionen des Victoria & Albert Mu-seums, war Sammler und Liebhaber vor allem klassischer persischer Teppiche und bezog aus ihnen wesentliche Anregungen für seinen floral-dekorativen Stil. Ohne William Morris wäre die Knüpftechnik als eines der Ausdrucksmittel der dekorativen Kunst des 20. Jahr-hunderts wohl kaum denkbar. Und doch hat die europäische Tep-pichkunst die Ideen eines William Morris recht bald verlassen und ist ganz eigene Wege gegangen, hat sich von dekorativer Kunst zu einem ganz eigenständigen künstlerischen Medium entwickelt, das aktuellen Strömungen moderner Kunst von Art Deco bis zum Indus-trial Design, vom Fauvismus über den Kubismus bis zum Konstruk-tivismus bildhaft plastischen Ausdruck verliehen hat. Dieser Ent-wicklung des künstlerischen Teppich-Design in Europa in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ist das Buch von Susan Day gewidmet. Aus der Philosophie von John Ruskin und William Morris, aus ihrem sozialen Idealismus, entwickelten sich Jugendstil, Nieuve Kunst und Style Liberty und die Idee vom Gesamtkunstwerk: Architektur und Ausstattung, Kunst und Kunsthandwerk, alles aus der Hand eines Künstlers, von Möbeln und Glasfenstern bis zu Beschlägen und Bodenbelägen. Texti-lien, auch Bodentextilien, Teppiche, spielten bei der Umsetzung dieser Idee eine herausragende Rolle. Hermann Muthesius, Henry van de Velde oder Josef Hoffmann, die auch Teppichentwürfe schufen, sind hier als Wegbe-reiter zu nennen. In Frankreich, unter dem Einfluß des Fauve und der Kubisten und einem gewissen französi-schem Hang zum Luxus entwickelte sich der elitäre Stil des Art Deco und hier gewann der Teppich einen ganz bestimmenden Einfluß auf die Raumdekoration. Sonia Delaunay, Eileen Grey und Jean Lurcat sind hier neben vielen anderen die ganz großen Namen dieser Epoche. Das Buch zeigt mit einem wissenschaftlich fundierten Text und in vorzüglichen und reichhaltigen Illustrationen diese Entwicklung auf. Hervorzuheben sind dabei vor allem die vielen zeitgenössischen schwarz-weiß Fotos, die die Teppiche in dem Interieur zeigen, für das sie ent-worfen und geknüpft wurden, wichtige Dokumente einer Zeit, in der dem Teppich als Bestandteil von Architek-tur und Einrichtung eine Beachtung gezeigt wurde, wie vielleicht nie zuvor. Ohne diese Phase des Art Deco wäre kaum denkbar, daß sich auch später Künstler, wie Fernand Léger, Jean Arp, Joan Miró und Pablo Picasso sehr ernsthaft mit Entwürfen für Teppiche befaßt haben. Doch der europäische Teppich des 20. Jahrhunderts war natürlich nicht auf Frankreich beschränkt, hat aber in anderen Ländern eine durchaus verschiedene Entwicklung erfahren. In Deutschland etwa, ausgehend von den Ideen von Werkbund und Bauhaus, stehen im Gegensatz zu den limitierten französischen Luxusteppichen industrielle Ästhetik und Serienproduktion im Vordergrund, was Johannes Itten oder Gunta Stölzl nicht hinderte, wundervolle, von Paul Klee inspirierte Teppiche selbst zu we-ben. Auch Belgien erlebte in der Zeit zwischen den Kriegen eine Blüte des modernen Teppichdesigns, während Skandinavien, Schweden vor allem, einen etwas anderen, stark von der textilen Volkskunst geprägten Weg be-schritt. England, die mediterranen Länder und Osteuropa werden ebenso behandelt wie die Einflüsse Europas auf die Stilentwicklung in den USA, wo vor allem Frank Lloyd Wright die Idee vom Geamtkunstwerk aufgriff und in zahlreichen Bauten verwirklichte – bis hin zum Teppich. Mit einer umfangreichen Biographie von Künstlern, Manufakturen und wichtigen Händlern, einem Signatur- und Monogrammverzeichnis, Glossar und Bibliographie schließt dieses Buch, das dem Teppichsammler und Textilliebhaber eine ganz neue Welt eröffnet, eine Welt, in der sich Handwerk und Industrie, neue Materialien und alte Techniken, Design und Kunst auf das Beste ergän-zen zu einem visuellen Erlebnis des Design im 20. Jahrhunderts.

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