Die orientalischen Knüpfteppiche im MAK

Autor/en: Angela Völker
Verlag: Österreichisches Museum für angewandte Kunst und Böhlau Verlag
Erschienen: Wien 2001
Seiten: 436
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: DM 186.–
ISBN: 3-205-99391-8
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Die „Wiener Sammlung“ ist weder die umfassendste noch die umfangreichste aber vielleicht die berühmteste Teppichsammlung der Welt. Jedenfalls stehen die Wiener Teppiche ganz am Anfang der Epoche innerhalb der sich der Orientteppich von einem exotischen und kostbaren Einrichtungsgegenstand zum Objekt ernsthafter wissenschaftlicher Sammlungstätigkeit und Forschung und schließlich zum anerkannten Kunstgegenstand entwickeln sollte. 1891 gab das kaiserlich königliche Österreichische Handelsmuseum in Wien mit der „Großen Ausstellung Orientalischer Teppiche“ den ersten international wirksamen Anstoß, Orientteppiche als Sammelobjekte zu betrachten. Vielleicht war diese Ausstellung mit 429 Teppichen die umfangreichste, die je stattgefunden hat. Wilhelm von Bode, damals wohl der beste Kenner des Orientteppichs kommentierte: „… geringe moderne Ware hing neben herrlichen alten Teppichen so ungeordnet wie in einem gewöhnlichen türkischen Bazar.“ Diese Ausstellung und der Katalog von Alois Riegl zeigten schon damals 15 Teppiche aus kaiserlischem Besitz, Teppiche, die den Ruhm der Wiener Sammlung begründen und bis heute bewahren sollten. Allerdings waren es damals noch Leihgaben des Kaiserhauses. Erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie, in den Jahren von 1919 bis 1922 gelangten die kaiserlichen Teppiche in das K+K Museum für Kunst und Industrie, das heutige MAK. Es waren die damals schon berühmten klassischen Stücke aus Persien, allen voran der „Wiener Jagdteppich“ und die bedeutenden Mamlukenteppiche, hier natürlich der weltweit einzige noch erhaltene seidene Mamlukenteppich, aber auch Teppiche aus dem 19. Jahrhundert, über die noch zu reden sein wird. 1926 unternahmen es Friedrich Sarre und Hermann Trenkwald, einen beschreibenden Katalog der fünfzig wichtigsten Wiener Teppiche herauszugeben, als ersten Band des großformatigen Tafelwerkes „Altorientalische Teppiche“, eines der berühmtesten Teppichbücher überhaupt. Dann geschah publizistisch 60 Jahre lang gar nichts, wenn man davon absieht, daß die berühmtesten Stücke der Wiener Sammlung in der gesamten Teppich-Literatur immer wieder zitiert wurden. Erst 1986 aus Anlaß der 5. ICOC in Wien und Budapest erschien wieder ein schmaler Katalog der „Knüpfteppiche aus China und Ostturkestan“ mit 44 wenig bekannten, weil erst spät vom MAK erworbene Stücken. Die weiteren 150 der insgesamt 194 orientalischen Knüpfteppiche des MAK werden nun in dem vorliegenden Katalog zusammen mit der Darstellung der Geschichte der Wiener Sammlung präsentiert, ein wichtiges und lange erwartetes Buch. Von den drei Quellen der Wiener Sammlung, dem Handelsmuseum, dem MAK und dem kaiserlichen Haushalt, die alle drei zahlenmäßig etwa gleich große Beiträge geleistet haben, ist natürlich die letztgenannte Provenienz die wichtigste und zentraler Gegenstand des einführenden Beitrages von Angela Völker, Leiterin der Textilsammlung des Museums. In keinem anderen Land und Museum ist der Haushalt – Möbel, Porzellan, Tafelsilber und eben auch Teppiche – eines abgedankten Herrscherhauses so reichhaltig erhalten geblieben wie in Wien. Auch wenn diese Teppiche sicher nur einen Bruchteil derjenigen Stücke darstellen, die im Laufe der Jahrhunderte in habsburgischen Besitz gelangten, so sind sie doch ein repräsentativer Querschnitt durch den Teppichbesitz eines europäischen Herrscherhauses. Natürlich sind dies vor allem die berühmten klassischen Teppiche des 15. bis 17. Jahrhunderts aus den Manufakturen von Kairo, Bursa und Uschak, aus Kaschan, Isphahan und Herat. Bemerkenswert und hier erstmals veröffentlicht sind ferner überraschend viele türkische Gebetsteppiche bzw. kleinformatige Doppelnischen- und Medaillonteppiche, meist aus Gördes, im ausgehenden 19. Jahrhundert ein beliebter Schmuck historisierender Interieurs. Damit wird ein Zeittrend dokumentiert, dem sich auch der kaiserliche Haushalt nicht entziehen konnte. Eine Überraschung sind einige bisher unveröffentlichte Nomaden- und Dorfteppiche südpersischer Provenienz, darüber hinaus gefällige iranische Manufakturware aus dem 19. Jahrhundert und eine Anzahl turkmenischer Hauptteppiche, allesamt keine bedeutenden Stücke, die aber doch zeigen, daß die Habsburger jenseits ihres repräsentativen Bedarfs wohl auch Freude an diesen orientalischen Einrichtungsgegenständen hatten. Tradition und Provenienz der klassischen Wiener Teppiche sollten es eigentlich ermöglichen daß sich ihre Spuren im Lauf der Geschichte verfolgen lassen. Wer dies erwartet wird allerdings enttäuscht, wenngleich der Gang durch die Archivalien und Inventare der Habsburger Kaiser, Könige und Herzöge eine kurzweilige und interessante Lektüre darstellt. Schon Alois Riegl schrieb 1892, „daß kein einziger der Teppiche mit einem der zahlreich in den Archivalien erwähnten Teppiche mit einiger Sicherheit identificiert werden kann.“ Daran hat sich leider nichts geändert. Der Grund liegt ganz einfach darin, daß Teppiche, mögen sie auch noch so kostbar und teuer gewesen sein, nicht als Sammlungsgegenstände, schon gar nicht als Kunst angesehen wurden, ganz im Gegensatz zu den in den Inventaren genau verzeichneten Handschriften oder Gemälden. Teppiche fanden allenfalls im Kontext mit Kleidung oder mit Einrichtungsgegenständen Erwähnung und auch dies höchst ungenau, denn es gab kein Fachwissen noch eine einigermaßen exakte Terminologie. Beispielsweise wurde der Begriff „türkisch“ im 16. und 17. Jahrhundert häufig synonym für orientalisch gebraucht. So versteht sich, daß es schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, in alten Inventaren bestimmte Teppiche wiederzufinden. Die Geschichte der Wiener Sammlung wäre schließlich nicht vollständig, wenn nicht auch die Verluste dokumentiert wären. 12 Teppiche mußten wegen Mottenfraß ausgeschieden werden, weitere 17, darunter einige sehr bedeutende aus dem kaiserlichen Bestand, verbrannten 1945 trotz Auslagerung. Eine Anzahl weniger bedeutender Stücke wurden 1923 im Dorotheum versteigert doch der bedeutendste und aus heutiger Sicht nur schwer erklärbare „Verlust“ ist der Verkauf von fünf besonders wertvollen Teppichen aus dem kaiserlichem Bestand. Es waren Pendants von klassischen Teppichpaaren, kunsthistorisch bedeutende Stücke und gerade als Paare von hohem künstlerischen und kulturgeschichtlichem Wert. Seither gibt es kein einziges Teppichpaar mehr in der Wiener Sammlung. Zu den Farbabbildungen ist anzumerken, daß die fünf, sechs und auch über sieben Meter langen klassischen Wiener Teppiche auf einer DIN A4 Seite einfach nicht genug Platz haben. Falttafeln hätten das Buch wohl teurer aber auch ungleich wertvoller gemacht. Dennoch ist das Buch über die Wiener Sammlung schon heute ein Klassiker der Teppich-Literatur. (- mb -)

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