Monochrome Seidengewebe des hohen Mittelalters

Autor/en: Regula Schorta
Verlag: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft
Erschienen: Berlin 2001
Seiten: 372
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: Euro 149.–
ISBN: 3-87157-183-0
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Papst Clemens II, vormals Suidger, Bischof von Bamberg, starb im Jahre 1047 in Italien. Seine letzte Ruhestätte fand er im Peterschor des Bamberger Domes. Als am 3. Juni 1942 sein Grab erstmals geöffnet wurde war das eine Sensation und ein Glücksfall für die Textilgeschichte. Der fast vollständig erhaltene Ornat von Clemens II, bestehend aus Pluviale, Kasel, Dalmatik, liturgischen Strümpfen und Handschuhen, Cingulum und Stola, Mitra und Pallium, einem Seidenschleier und langen, genähten Bändern, ist ein einzigartiges Ensemble nicht nur für die Frühgeschichte der liturgischen Gewandung, sondern vor allem für die Erforschung der Textilkunst des Hochmittelalters. Von diesem wohl bedeutendsten textilen Schatzfund haben vor allem die Pontifikalstrümpfe Berühmtheit erlangt, denn sie sind in einer Technik gewebt, die die großzügige Zeichnung glänzend vor einem matten Hintergrund in Erscheinung treten läßt. Das Muster von großen, reihenweise versetzt angeordneten Medaillons, die abwechselnd Paare von Greifen oder Panthern enthalten, mit flügelschlagenden Vogelpaaren in den Zwickeln, ist nicht nur von seltener Schönheit und Klarheit, sondern es birgt auch das große Rätsel von Zeit und Ort seiner Entstehung. Islamisch oder byzantinisch ist die Frage? Beide Webtraditionen berufen sich auf die gleichen Vorbilder aus dem persisch sassanidischen Bereich und aus den hellenistisch-spätantiken Mittelmeerkulturen. Die Umstände, daß Stoffe über weite Entfernungen, oft über tausende von Kilometern, gehandelt wurden und daß wichtige Webzentren zeitweilig unter arabischer, zeitweilig unter byzantinischer Herrschaft gestanden haben, macht die Antwort nicht leichter. Ob der Stoff der Papststrümpfe nun persisch ist oder byzantinisch – wofür einiges spricht -die Seide ist jedenfalls Zeugnis für die intensiven Wechselwirkungen der verschiedenen Kulturen im östlichen Mittelmeerraum. Die Stoffe aus dem Papstgrab mit ihrem reichhaltigen Repertoire an Mustern sind durchweg einfarbige Seidengewebe, und dieser Gruppe monochromer Seidengewebe ist die vorliegende, den weltweit bekannten Bestand erfassende Untersuchung von Regula Schorta gewidmet. Die Eleganz und Schönheit dieser Seidengewebe ist frappierend und sie markieren einen frühen Höhepunkt der Webkunst. Auch wenn die dem Weben innewohnenden Möglichkeiten zur Musterbildung allein durch Strukturunterschiede schon früh erkannt und immer wieder genutzt wurden – so ist eine Gruppe solcher Gewebe beispielsweise aus der chinesischen Han-Dynastie (206 v.Chr. – 220 n.Chr.) erhalten – so erreichten sie im 10. und 11. Jahrhundert ein vorher nicht gekanntes Niveau. Wie eingraviert auf glatt glänzender Oberfläche erscheint die Zeichnung, die erst durch wechselnden Lichteinfall, durch das Spiel von Licht und Schatten im großzügigen Faltenwurf zur Geltung kommt. Die schwungvoll fließende Musterung harmoniert elegant mit diesem optischen Effekt und steigert den Eindruck des Edlen und Kostbaren. Die Monographie von Regula Schorta ist eine sorgfältige und vollständige Zusammenfassung und Überblick über den aktuellen Stand der Forschung. Sie berücksichtigt die webtechnischen Zusammenhänge, untersucht die vielfältigen mustermäßigen Verflechtungen und Parallelen der verschiedenen Bindungsvarianten und enthält schließlich einen wissenschaftlichen Katalog der nahezu 300 weltweit erhaltenen Exemplare dieser Seidengewebe, vom vollständigen Gewand bis zum kleinen Fragment, Reliqienhüllen und Bucheinbände, Grab- und Bodenfunde, verwahrt in Museen und Kirchenschätzen. Zentraler und wohl auch spannendster Teil dieser Monographie ist sicherlich die kunsthistorische Betrachtung und Wertung der verschiedenen Muster und die Antworten auf die Fragen nach dem Wo und Wann, die sich daraus ableiten lassen. Das Greifen-Panther-Muster der Papststrümpfe und seine Varianten, der Elefantenstoff aus dem Schrein Karls des Großen im Domschatz zu Aachen, das Vogelmuster der Bernhard-Kasel oder die Gruppe von Stoffen mit der Darstellung reitender Kaiser sollen hier genannt sein als Beispiele für die figürlichen Muster neben der Vielzahl ornamentaler groß- und kleinflächiger Musterungen. Eine ganze Reihe dieser monochrom gemusterten Stoffe ist schließlich mit Senmurv-Darstellungen geschmückt, wobei das Fabelwesen aus Hundekopf, Löwenfüßen, Vogelflügeln und Pfauenschwanz besteht. Wenn auch der älteste Beleg für das Senmurv-Muster auf Textilien die Reliefs in Taq-i-Bustan sind, so standen die Webstühle für diese Stoffe aus dem 8. oder 9. Jahrhundert wohl eher in Byzanz als in Persien. Die dieser Musterbetrachtung vorgeschaltete, eher trockene Materie der webtechnischen Grundlagen ist aber gleichwohl eminent wichtig und lesenswert, denn sie weckt das Verständnis für die Dreidimensionalität dieser Gewebe, die Voraussetzung für das Entstehen monochromer Musterungen ist. Ob Samit oder Damast, Proto- oder Pseudolampas, stets sind es hochkomplizierte textile Bindungen, die von der Autorin in Wort und Bild, in Zeichnungen und in Makro-Aufnahmen dargestellt und erklärt werden. Diese Webstrukturen ermöglichen es schließlich sogar, uns ein Bild von den Webstühlen zu machen, von denen sich im Gegensatz zu den kostbaren Seidenstoffen nicht ein einziger erhalten hat. (- mb -)

Print Friendly, PDF & Email