Kaitag – Textile Art from Daghestan

Autor/en: Robert Chenciner
Verlag: Textile Art Publications
Erschienen: London
Seiten: 208
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 125.– US-Dollar
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 1996

Besprechung:

Das erste und zugleich umfassende Buch über Stickereien aus Daghestan ist das Ergebnis von 6 Jahren Feldforschung im unzugänglichen Bergland Daghestans. Es ist dies eine sehr kleine und schwer zugängliche geographische Region im Kaukasus und umso unfaßbarer ist der unglaubliche Reichtum an Formen und Farben, an handwerklichen Variationen und an Einflüßen verschiedenster Kulturen, wie sie sich in den Seidenstickereien der Kaitags offenbaren. Woher kommt diese Vielfalt und zugleich Eigenständigkeit dieser Textilgattung? Robert Chenciner geht dieser Frage auf den Grund und untersucht zunächst die Herkunft dieser ethnischen Gruppe. Der östliche Kaukasus hat eine bewegte Geschichte; Hunnen, Römer, Araber, Seldschuken und Mongolen, haben hier ihre Spuren, meist kriegerische, hinterlassen. Die religiösen Einflüsse sind nicht weniger vielfältig; Christen, Juden, Muslime und lokale animistische Strömungen übten Einfluß. So entstand eine kleine, multi-ethnische Gruppe, die Kaitag, deren Wurzein in ganz Asien und noch darüber hinaus zu finden sind. Nur aus dieser außergewöhnlichen ethnischen und religiösen Vielfalt erklärt sich die erstaunliche, kraftvolle und vielfältige Ikonographie der Stickereien. Das macht die Einordnung und Bewertung der Muster nicht leichter: Manches scheint von frühen Filzen übernommen, usbekisches Mustergut ist erkennbar, heidnische, koptische und jüdische Symbole, Einflüsse aus Karabagh und Azerbaidschan, chinesische Wolkenbänder, Sonnen, Tiere, Hieroglyphen – all dies findet sich, wie Chenciner feststellt, nicht nur in den Stickereien sondern auch in der Architektur, bei Holzarbeiten und auf Grabsteinen der Kaitag. Damit ist der Verwendungszweck angesprochen: Geburt, Hochzeit, Tod. Die Stickereien der Kaitag wurden mit großer Sorgfalt nicht für den Gebrauch oder Verbrauch sondern ausschließlich für rituelle Zwecke, für den Schutz vor dem Bösen, als Schutzdecke für das Neugeborene oder als Gesichtbedeckung für den Verstorbenen gefertigt. Das erklärt den guten Erhaltungszustand, auch die relativ große Zahl dieser Textilien, die sich erhalten haben. Zurück zum Buch: Selbstverständlich sind nicht nur die verwendeten Materialien genau beschrieben, sondern vor allem die vielen verschiedenen Sticktechniken, deren sich oft eine ganze Anzahl bei einem einzigen Stück identifizieren lassen. Man spürt es: Die Frauen, die dies ausführten, waren nicht nur perfekt im Handwerklichen, sie hatten auch Freude an ihrer Rolle als Künstlerinnen in Design und Farbe. An 23 der insgesamt vorgestellten 171 Stickereien wurden von Harald Böhmer Farbanalysen vorgenommen. Bei einigen ließen sich frühe Akzo- und synthetische Farbstoffe nachweisen, was die Datierung – „2.Hälfte 19.Jahrhdt“ – einfach macht. Alle anderen wurden von Chenciner überwiegend in das „18.Jahrhundert oder früher“ datiert, was zweifeln läßt aber auch schwer wiederlegt werden kann. Den überwiegend archaisch wirkenden Mustern läßt sich für das Alter wenig entnehmen. Die Altersangaben müssen daher mit einem Fragezeichen versehen werden. Alle 171 Stickereien werden im Katalogteil schwarz-weiß abgebildet und genau beschrieben. Der zentrale Teil dieses schönen Buches aber sind die 47 seitengroßen Farbtafeln, die in exquisiter Drucktechnik den Form- und Farbenreichtum dieser textilen Kunstwerke erschließen. Chenciners Texte verweisen auch hier phantasievoll und kenntnisreich auf die oft weit entfernt und lange zurück liegenden Quellen der Muster. Sie reichen aber zugleich bis heute und lassen durch ihre Abstraktion und Farbgebung an Miro, Klee und Matisse denken. Womit die Wertung vorgegeben ist: Zeitlose Kunstwerke, vorgestellt in einem Buch, das ihrem künstlerischen Rang in jeder Hinsicht gerecht wird.

Print Friendly, PDF & Email