The Golden Deer of Eurasia – Perspectives on the Steppe Nomads of the Ancient World

Autor/en: Joan Aruz, Ann Farkas, Elisabetta Valtz Fino (Hrsg)
Verlag: Metropolitan Museum of Art and Yale University Press
Erschienen: New York, New Haven and London 2006
Seiten: 244
Ausgabe: broschiert
Preis: 25.– englische Pfund
ISBN: 978-0-300-08510-5 (Verlagsausgabe)
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2008

Besprechung:
Die zurückliegenden Jahrzehnte haben viele archäologische Sensationen zu verzeichnen, denen – das ist gewiss – weitere folgen werden. Einer der spektakulärsten waren die 26 goldenen Hirsche aus einem Grabhügel bei Filippovka, einem Ort in der Steppe des südlichen Ural, unweit von Orenburg, praktisch auf der Grenzlinie zwischen Europa und Asien gelegen. Frühe Grabräuber haben in der Eile gepfuscht und sorgfältige Archäologie brachte nicht nur die sensationelle Herde mythischer Hirschfiguren zu Tage, sondern auch hunderte sorgfältig dekorierter Goldbeschläge für hölzerne Trink- und Ritualgefäße, verziert mit den Bildern wirklicher und unwirklicher Tiere, mit Vögeln, Widdern und Fischen, mit Greifen und Senmurfen, darunter auch ein großes Kultgefäß in Form eines Bären mit Kopf und Pfoten in massivem Gold und farbig eingelegtem Glas für Augen, Ohren und Nase. Im Winter 2000/01 waren diese heute im Archäologischen Museum in Ufa verwahrten Schätze im Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt und das staunende Publikum konnte nicht nur diese von den Sarmaten, einem Nomadenvolk persischen Ursprungs in der südrussischen Steppe im 5. oder 4. Jahrhundert v. Chr. geschaffenen Kunstwerke bewundern, sondern auch die im selben Kurgan gefundenen luxuriösen Gold- und Silberwaren aus dem achämenidischen Persien jener Zeit (vgl. die Besprechung des Katalogbuches „The Golden Deer of Eurasia“ im Archiv). Die sich daraus aufdrängenden Fragen nach den Kontakten und Verbindungen dieses Nomadenvolkes mit den angrenzenden sesshaften Zivilisationen in Persien und im klassischen Griechenland aber auch mit den benachbarten Steppenvölkern, den Skythen im Westen und den nomadischen Kulturen im Altai, im südlichen Sibirien und im Ordos waren Gegenstand eines anlässlich der Ausstellung im Oktober 2000 veranstalteten Symposium, dessen 20 wissenschaftliche Beiträge nun in Buchform vorliegen. Mit diesem Essayband wird eines der spannendsten Themen archäologischer Forschung von namhaften Experten aus USA, Europa und Asien auf den neusten Stand gebracht. Wer waren diese mit sagenhaften Schätzen in riesigen Grabanlagen beigesetzten Steppenfürsten, die sonst nichts, keine Spuren von Siedlungen und schon gar keine schriftlichen Quellen hinterließen? Irgendwann zwischen 900 und 800 v. Chr. waren irgendwo in der Steppe mit hochtechnologischen Entwicklungen, einem neuen Satteltyp, verbesserter Pfeilspitzenproduktion und der Erfindung des Reflexbogens die Voraussetzungen für die Entwicklung von Herrschafts- und Eroberungsstrukturen geschaffen worden, die erst mit der Erfindung der Schusswaffe und dem Untergang des mongolischen Weltreiches im 14. Jahrhundert n. Chr. ihr Ende fanden. Schon die griechischen und persischen Historiker der Antike waren von diesen ebenso gefährlichen wie fremdartigen Helden und Kriegern, die mit ihren kleinen aber ausdauernden Pferden aus dem Nichts auftauchten und wieder dorthin verschwanden fasziniert. Beschreiben aber konnten sie schon damals eigentlich nur die Begräbnisrituale ihrer Herrscher, die nun nach und nach ihre archäologische Bestätigung finden. Vom täglichen Leben dieser Reiterkrieger wusste man damals nichts und das wenige, was man heute weiß, lässt sie eher noch geheimnisvoller erscheinen. Gekleidet waren sie in Leder, Fell und Filz, ihre Ernährung bestand vorwiegend aus Milchprodukten und Fleisch, in ihren Zelten konsumierten sie Drogen und tranken Wein, wenn sie ihn bekommen konnten, bevorzugt aus den Schädel-Trinkschalen ihrer Feinde. Ihre Kunst, der so genannte Tierstil, den sie mit Tätowierungen auch auf ihre Haut übertrugen, zeigte eine faszinierende Mischung zwischen sorgfältig beobachteter Wirklichkeit und übernatürlicher Darstellung. Sie alle, die Skythen, Sarmaten und Massageten, aber auch die Hu und Xiongnu im Osten hatten eine ausgeprägte Herrscherkaste, unterhalb derer eine überraschende Vielfalt ganz normaler Menschen lebte, die Dinge taten, Handwerke ausübten, auch Getreide anbauten, um ihren Fürsten deren Leben zu ermöglichen. Dies und das Leben dieser Menschen beginnt man gerade erst zu verstehen und jede neue Entdeckung wirft mehr Fragen auf als alte beantwortet werden. Neben diesen Essays über die möglichen wirtschaftlichen, politischen und organisatorischen Strukturen der eurasischen Reiternomaden wird natürlich der Fund von Filippovka beschrieben, analysiert und seine sorgfältige Restaurierung und Konservierung dokumentiert. Der zentrale Beitrag stammt von Gernot Windfuhr von der University von Michigan, Ann Arbor, der sich vor allem mit den 26, mit Gold- und Silberblechen beschlagenen, etwa einen halben Meter hohen Hirschfiguren befasst und diese in einen eurasischen Kontext stellt. Obwohl es keine direkten Parallelen zu diesem Fund gibt, sieht Windfuhr Zusammenhänge unter anderem mit Darstellungen im Palast des Darius in Persepolis oder oder mit den großen, in Applikationstechnik gearbeiteten Filzbildern aus dem Kurgan von Pazyryk. Macht man sich von der Vorstellung einer Hirschfigur frei, die sich freilich durch das überdimensionale Geweih geradezu aufdrängt, dann sieht man ein aus verschiedenen Tieren zusammengesetztes Fabelwesen, wie es ähnlich in vielen Kulturen zu finden ist. Auf dem Körper einer Raubkatze sitzt ein mit einer Wolfsschnauze versehener Vogelkopf , der das gewaltige, spiralförmige Geweih trägt. Die möglichen mythischen und kosmologischen Bedeutungen der in Filippovka gefundenen Fabelwesen, ihre Zahl und Anordnung im zentralen Kurgan ist ein spannender geistesgeschichtlicher Abriss über mögliches gemeinsames Gedankengut früher Kulturen. Wieder ein anderer Beitrag befasst sich mit der Rolle der Frau und wir finden den Bericht Herodots über reitende und mit Waffen kämpfende Frauen durch die moderne Archäologie bestätigt, allerdings mit der zusätzlichen, liebenswerten Entdeckung, dass zur Ausrüstung dieser Amazonen neben Waffen auch Spiegel und kosmetische Accessoires gehörten. Mit diesen knappen Hinweisen kann hier nur die Neugier auf zahlreiche weitere interessante Beiträge geweckt werden, etwa über die Darstellung des baktrischen Kamels im zentralasiatischen Tierstil, über den bis heute weit unterschätzten Austausch von Waren, Ideen, Techniken und Symbolen von China bis zur iberischen Halbinsel in jener frühen Zeit und über neue aufregende archäologische Entdeckungen vom Ural über den Altai und Tuva bis nach West-China.

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