The Mummies of Ürümchi

Autor/en: Elizabeth Wayland Barber
Verlag: W.W.Norton & Company Ltd
Erschienen: New York -London 1999
Seiten: 240
Ausgabe: Hardbound mit Schutzumschlag
Preis: £ 25
ISBN: 0-393-04521-8
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 1999

Besprechung:
Der Titel „Die Mumien von Urumqi“ läßt es nicht vermuten: Es handelt sich hier um ein Textilbuch. Doch davon später. „Die Mumien von Urumqi“ ist zunächst ein Wissenschaftskrimi, wie er spannender, besser recherchiert und lebendiger geschrieben nicht sein könnte. Es begann im April 1994 als das amerikanische „Discover Magazine“ spektakuläre Bilder von uralten Mumien veröffentlichte, Mumien mit eindrucksvollen, sprechenden Gesichtern, ein bärtiger Mann, eine schöne Frau, kunstvoll gewickelte Babys, alle gekleidet in farbenfrohe, gut erhaltene Gewänder. Gefunden hatte man die Mumien an verschiedenen Orten des Tarim-Beckens, in den Wüsten von chinesisch Turkestan, der heutigen autonomen uigurischen Volksrepublik Xiniang. Diese 3000 bis 4000 Jahre alten Mumien bergen ein aufregendes Geheimnis, sind es doch keine Chinesen, auch keine Mongolen, wie man erwarten könnte, sondern offensichtlich Menschen aus Europa, vermutlich aus dem Kaukasus. Sie sind groß, der Mann knappe zwei Meter, die Frauen kaum kleiner, lange Nasen, blond, bärtig, wohl blauäugig. Was hatten diese Kaukasier im Herzen von Asien zu suchen? Woher kamen sie? Welche Sprache sprachen sie? Warum starben sie? Was hat ihre Körper so gut erhalten? Fragen, denen die Autorin in einer fakultätsübergreifenden Untersuchung nachgeht. Historische Fakten, archäologische Daten, linguistische Überlegungen werden in wissenschaftlicher Manier aber sprachlich souverän und locker zusammengefügt und am Ende steht eine These, die wir wohl nachvollziehen können. Auch dazu später. Besonders lesenswert und spannend wird das Buch durch die vielen Ausblicke, Parallelen und Vergleiche: Wir finden durchaus kritische Anmerkungen zur Radiokarbonmethode der Altersbestimmung, lesen über das große geographische Phänomen der Region, den wandernden See Lop Nor, erfahren etwas über die Gefahren für Mumien in einem Museum in chinesisch Turkestan: Pilze, Motten und Mikroben, begleiten die frühen Forschungsreisenden Sven Hedin, Sir Aurel Stein und Folke Bergman, die ebenfalls schon Mumien gefunden hatten, sie aber an Ort und Stelle lassen mußten und werden schließlich über unbekannte Details und Ergebnisse sowjetisch-archäologischer Forschung vor der großen politischen Wende informiert. Aber Elizabeth Barber wäre nicht eine anerkannte Wissenschaftlerin für frühe Textilien, wenn nicht in diesem Bereich ein Schwerpunkt dieser Publikation zu finden wäre. Das liegt nahe, denn die Gewänder und textilen Grabbeigaben gehören zum Schönsten und zugleich Geheimnisvollsten dieser Entdeckungen. Während die etwa zeitgleichen ägyptischen Mumien schlichtes weißes Leinen bevorzugten, kleideten sich die Bewohner des Tarim-Beckens damals in farbenfrohe Gewänder, beherrschten bereits komplizierte Web- und Dekorationstechniken, liebten phantasievolle Kopfbedeckungen, hatten also bereits eine hohe Textilkultur, die sie wohl nach Zentralasien mitgebracht hatten. Die Konstruktion der Kleidung, die Stoffe, ihre Webtechnik – meist Köperbindung -, die lebhaften Farben und die vermeintliche Beschaffenheit der Webstühle werden genau beschrieben. Zu bedauern ist allein die Sparsamkeit der Abbildungen, die sich auf nur 16 Farbtafeln drängen. Immerhin, der Faszination des Schönsten aller Textilien, eines in Brokattechnik ausgeführten Gewebes mit verschiedenfarbigen Argali-Schafen mit großen geschwungenen Hörnern und leuchtend blauen Augen, kann sich wohl niemand entziehen. Natürlich sind die Textilien ein wichtiger Baustein bei der Theorie über die Herkunft der Mumien, ergeben sich doch erstaunliche Parallelen zu den ältesten europäischen Textilfunden aus der frühen Hallstattkultur. Diese Parallelen lassen auf gemeinsames indogermanisches Herkommen der prähistorischen Kelten und der prähistorischen Bewohner der Wüsten von Loulan schließen. Untermauert wird diese These durch den berühmten Textilfund von Hami, einem Ort in der Wüste Gobi. Dort fand man uralte Stoffe in der Webtechnik und mit den Mustern schottischer Quilts. So liegt denn der Schluß nahe, daß das geheimnisvolle blonde und blauäugige Volk in Zentralasien tokharisch gesprochen hat, eine bis vor kurzem komplett unbekannte und längst ausgestorbene indoeuropäische Sprache, deren schriftliche Zeugnisse unlängst in der nämlichen Region gefunden wurden. Das Buch ist ein glänzend geschriebener Bericht über eine alte, exotische und fast vergessene Welt und ihre faszinierenden Textilien.

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