Wilhelm Heine – Ein weltreisender Maler zwischen Dresden, Japan und Amerika

Autor/en: Andrea Hirner
Verlag: Edition Reintzsch
Erschienen: Radebeul 2009
Seiten: 170
Ausgabe: Broschur
Preis: € 24.90
ISBN: 3-930846-34-9
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2010

Besprechung:
Man schrieb den 4. Juli 1853 als sich 4 amerikanische Schiffe, zwei Dampffregatten und zwei Kanonenboote langsam der Bucht von Japans Hauptstadt Edo, näherten. Commander Matthew Calbraith Perry hatte befohlen, alle Gewehre und Kanonen schussbereit zu halten, denn es hatte Gerüchte gegeben, die Expedition würde auf jeden Fall kriegerisch empfangen werden. Kriegsdschunken, eine mit Kanonen gespickte Küste und eine Million Soldaten stünden bereit, Japan zu verteidigen. Auch wenn sich diese Nachrichten später als maßlos übertrieben erwies, war die Situation doch zum Zerreißen gespannt, als die ersten japanischen Beamten an Bord kamen und wie üblich ultimativ verlangten, die Schiffe sollten sich sofort wieder entfernen. Perry wies das zurück und Schritt für Schritt tasteten sich die Amerikaner in dem unbekannten Terrain voran und erprobten, wie weit sie gehen konnten, ohne eine Gegenreaktion zu provozieren. Einige Männer wagten es gar, im Beiboot und unter dem Schutz der Schiffskanonen die Küste zu erkunden, umschwärmt von japanischen Schiffen voller Samurai und Beamter. Im Falle eines japanischen Angriffs hätte Perry unverzüglich die Bordkanonen und seine Marinesoldaten eingesetzt und es wäre gewiss zu einer Seeschlacht mit ungewissem aber jedenfalls blutigem Ausgang gekommen. Tatsächlich genügte es, die Waffen zu zeigen, um die Japaner in Schach zu halten. Wilhelm Heine, der die Expedition als Berichterstatter und Zeichner begleitende deutsche Künstler nannte sein Bild von dieser denkwürdigen Szene später „Die Überquerung des Rubikon“, und es war wie in der Antike tatsächlich ein Moment, in dem eine Scheidelinie überschritten wurde und die Geschichte einen neuen Verlauf nahm, auch wenn es den Beteiligten noch nicht bewusst war. Für den 1827 in Dresden geborenen Heine war die Teilnahme an dieser von wirtschaftlichen Interessen Amerikas diktierten und vom damaligen Präsidenten Fillmore angeordneten Expedition zur Öffnung der Häfen des seit über 200 Jahren in selbst gewählter Isolation verharrenden Japan das ganz große Abenteuer, das seinen weiteren Lebensweg bestimmen sollte. Dieser hoch interessante und wechselhaft verlaufene Lebensweg eines ungewöhnlichen und vielseitig begabten Mannes kann nun in einer überaus sorgfältig recherchierten und blendend geschriebenen Biographie nachgelesen werden. Heine, Sohn eines Dresdner Hofschauspielers, dessen Familie eng mit Richard Wagner befreundet war, studierte bei Gottfried Semper Architektur und ging zum Erlernen der Theatermalerei nach Paris. Im Anschluss an den Pariser Februaraufstand des Jahres 1848, der zur Flucht der Bürgerkönigs führte, musste er Paris wohl wieder verlassen, nur um ein gutes Jahr später in die scheiternde Bürgerrevolte in Dresden zu geraten. Wie viele andere „48er“ entschied auch er sich für die Auswanderung als politischer Flüchtling nach Amerika. Tatkräftig und konsequent baute er sich in New York eine Existenz als Landschaftsmaler auf und wurde alsbald von dem Schriftsteller und Hobbyarchäologen Squier für eine Reise nach Mittelamerika engagiert. Seine Bilder dieses exotischen Landes, vor allem aber seine lebendigen Berichte sicherten ihm schließlich die Teilnahme an der denkwürdigen Perry-Expedition. Die in Amerika und auch in der „Augsburger Allgemeinen“ abgedruckten Expeditionsberichte und die in den Jahren nach seiner Rückkehr wieder in beiden Ländern veröffentlichten und mit seinen Bildern illustrierten Bücher – heute gesuchte und teure Raritäten im Antiquariatsbuchhandel – machten ihn als Reiseschriftsteller und Japankenner bekannt. Im Oktober 1858 heiratete er Catherine Sedgwick, Tochter einer amerikanischen Ostküstendynastie, die bei der Geburt ihres ersten Kindes schon 1859 starb. Nach einem Aufenthalt in Nordafrika begleitete Heine 1860/61 eine weitere Expedition nach Japanund China, diesmal im Auftrag und unter der Flagge des sich ebenfalls um Ostasienkontakte bemühenden preußischen Staates. Noch auf der Rückreise von dieser Fahrt alarmierten ihn Nachrichten über den Ausbruch des Bürgerkrieges in Amerika und er begab sich auf schnellstem Wege nach New York, trat in die Armee der Nordstaaten ein und brachte es schließlich bis zum Brigadegeneral. Dieser militärischen Karriere folgten diplomatische Missionen im Dienste des amerikanischen Außenministeriums in Paris und Liverpool, bevor er 1871 Amerika endgültig den Rücken kehrte, um in Dresden wieder deutscher Staatsbürger zu werden. Mit dabei war seine bei den Sedgwicks in New York aufgewachsene Tochter Catherine, die sich nun ihrerseits aus der aufstrebenden modernen Weltstadt New York in eine ihr exotisch und rückständig anmutende europäische Kleinstadt mit Menschen versetzt sah, die sie nicht verstand. Catherine oder, wie sie jetzt hieß, Katharina, fühlte sich in Europa entsetzlich unglücklich, verliebte sich aber dann in Edgar Hanfstaengel aus der angesehenen Münchner Lithographen- und Kunstverlegerfamilie, heiratete ihn 1882 und führte in der damaligen Kunsthauptstadt Deutschlands bis zu ihrem Tode ein großes Haus. Ihr Vater Wilhelm war, wieder in Deutschland, zu seinen Schreib- und Malarbeiten zurückgekehrt, publizierte noch einige Werke und starb 1885 in Kötzschenbroda bei Dresden. Ist diese Lebensgeschichte von Wilhelm Heine schon fesselnd genug, so liegt die besondere Qualität dieser Biographie aber vor allem in der überaus lebendigen Schilderung der Stationen dieses wechselhaften Lebens, die über das rein biographische weit hinausgeht. Der Leser fühlt sich ganz in die großbürgerlich-intellektuelle Atmosphäre einer kleinen deutschen Residenzstadt versetzt, erlebt das weltstädtische Flair der Metropole Paris oder die Dynamik des aufstrebenden New York. Er begegnet bekannten Persönlichkeiten, wie Richard Wagner, Gottfried Semper, Carl Schurz, Alexander von Humboldt, Michail Bakunin, um nur einige zu nennen und erlebt quasi hautnah die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strömungen jener Zeit. Die Entwicklung der nordamerikanischen Kunstszene der „Hudson River School“, das Abenteuer Nicaraguakanal, die katastrophalen Verhältnisse auf den Auswandererschiffen, die von Bremen und LeHavre in das „gelobte Land“ aufbrachen, Japans Präsenz auf der Pariser Weltausstellung von 1867 und der Bedarf der amerikanischen Walfangflotte nach japanischer Kohle, der zur Perry-Expedition geführt hat, wird anschaulich geschildert. Schließlich und endlich erfährt der Leser auch, warum es in der Bucht von Edo am 4. Juli 1853 nicht zu der befürchteten Seeschlacht kam. Die vier dampfgetriebenen, rauchenden Schiffe waren für die japanischen Menschen, die dergleichen noch nie gesehen hatten, von einem geheimen Zauber gelenkte Wunderwesen und die seltsamen Männer auf diesen schwarzen Schiffen hielten sie für Berggeister von unbekannter und grenzenloser Macht. So war es vor allem die gegenseitige Angst, die dazu verhalf, Japan friedlich in die globale Völkergemeinschaft zu integrieren.

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