Wutai Shan – Mittelpunkt des chinesischen Buddhismus – Klöster und Pilger am heiligsten Berg Chinas

Autor/en: Christoph Baumer
Verlag: Detjen-Verlag
Erschienen: Hamburg 2009
Seiten: 336
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 49.95
ISBN: 978-3-937597-29-4
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2009

Besprechung:
Es ist ein Phänomen, dass im chinesischen Kernland, aber auch in den ehemaligen tibetischen Provinzen Kham und Amdo – heute zu Qinghai, Sichuan und Gansu gehörend – eine unübersehbare und von der Staatsführung tolerierte Renaissance des Buddhismus stattfindet, während in Zentraltibet, der „autonomen Region Tibet“ die Restriktionen gegen Mönche, Nonnen und Klöster, ja gegen jede Form buddhistischer Glaubensäußerung in einem kaum fassbaren Ausmaß immer noch Ausmaß zunehmen. Die zum 50sten Jahrestag des im März 1959 blutig niedergeschlagenen tibetischen Volksaufstandes derzeit von China in Lhasa und Zentraltibet getroffenen Vorkehrungen – Zensur, Nachrichtensperre, striktes Einreiseverbot und eine massive Verstärkung von Polizei und Militär – sind Ausdruck dieser so widerspruchsvollen Zeiterscheinung. Mit dem Hinweis des Autors, wonach das Bekenntnis zum tibetischen Buddhismus stets auch eine politisch-patriotische Komponente einschließt, während der chinesische Buddhismus weitgehend unpolitisch ist, ist das Phänomen, insbesondere im Osten Tibets, nur unzureichend erklärt. Doch das zu untersuchen ist nicht das Thema von Christoph Baumers neuestem und, wie stets, glänzend recherchiertem, flüssig geschriebenem und mit einer kaum aufnehmbaren Fülle von Informationen und schönen Bildern vollgepackten Buch über die seit jeher wichtigste Pilgerstätte des chinesischen Buddhismus. Der Wutai Shan ist der 350 Kilometer südwestlich von Beijing gelegene und mit einer Höhe von 3058 Metern höchste Berg des nördlichen China. Aus spiritueller Sicht ist Wutai Shan ein heiliger, den fünf Tathagata-Buddhas geweihter Bezirk, ein gigantisches, natürliches Mandala mit einem Zentrum und vier, sich nach allen Himmelsrichtungen erstreckenden Terrassen. Ursprünglich eine Hochburg der Daoisten nahmen buddhistische Mönche den Wutai Shan ab dem 4./5. Jahrhundert allmählich in Beschlag. In jener Zeit als die Barbarendynastie der Nördlichen Wei (386-581) die Macht in China inne hatte, erfolgten die ersten Klostergründungen und begann der Aufstieg des Wutai Shan zu Chinas wichtigstem Wallfahrtsort. Seine Blütezeit mit damals mehr als 300 Tempeln und Klöstern erlebte er während der Tang-Dynastie (618-907). Und im Gegensatz zu anderen buddhistischen Zentren, etwa dem Mogao-Höhlenkomplex in Dunhuang und anderen Höhlentempeln geriet der Wutai Shan nie in Vergessenheit, sondern blieb bis zur Qing-Dynastie stets spirituelles Zentrum; sogar 1937 konnten dort noch 100 Klöster gezählt werden. Erst die unfassbare Vernichtungswut der Kulturrevolution hinterließ auch am Wutai Shan ein Chaos sinnloser Zerstörung, das nunmehr, dreissig Jahre nach dem Ende dieses Spuks mit zahlreichen Neubauten von Klöstern, Tempeln und Pagoden von neuem zu einem Mekka des tibetischen Buddhismus erwachte. Christoph Baumer beschreibt sie alle, mit ihren Besonderheiten, ihrer Ausstattung und ihrer Lage in lichten Hainen oder auf kargen, sturmumtosten Gipfeln, angeschmiegt an steile Felswände, nur auf abenteuerlichen Wegen zu erreichen oder locker verteilt in hügeliger Waldlandschaft. Die landschaftliche Schönheit des Wutai Shan und die geomantische Sorgfalt bei der Auswahl des Baugründe für die Kultbauten faszinieren: Ziel chinesischer Pilgerfahrten sind nicht Architekturen oder Grabmonumente, sondern es sind die Berge, wo wie nirgendwo sonst das Heilige in der Natur gegenwärtig ist. Berge sind die fünfte, sichtbare Himmelsrichtung, die nach oben zum Himmel zeigt. Auf den Bergen hausen Gottheiten, Bodhisattvas und daoistische Unsterbliche, so dass eine Pilgerfahrt zu einem heiligen Berg einer Reise zum Zentrum des Universums gleichkommt. Auch die verschiedenen Pilgerwege zum Wutai Shan und zu der im Zentrum des Gebietes gelegenen Klosterstadt Taihuai mit ihren Dutzenden von Klöstern, Tempeln und Stupas werden minutiös beschrieben und nicht selten stößt der Autor auf wahre Kleinode chinesischer Kunst und Kultur, die sogar die Zerstörungen des vergangenen Jahrhunderts überdauert haben. Das ist etwa die Buddha-Halle von Nanchan Si, der älteste, ganz aus Holz erbaute und hervorragend erhaltene Tempel aus der Zeit der Tang-Dynastie mit bemalten Ton-Figuren aus dem Jahre 782. Nicht minder eindrucksvoll ist die mächtige, 67 Meter hohe Holzpagode Mu Ta auf oktogonalem Grundriss. Sie wurde im Jahre 1056 erbaut, widerstand allen Erdbeben und erst vor einigen Jahren wurde in einer der in ihr verwahrten Statuen ein Schatz aus der Zeit der Liao (916-1125) entdeckt. All diese Informationen und Daten auch über die Anzahl der in den Klöstern heute wieder praktizierenden Mönche und Nonnen sind begleitet von persönlichen Reiseerlebnissen, aufgelockert durch Anekdoten, Legenden und Geschichten und unterbrochen durch eingestreute Artikel über wissenswerte Themen und Ereignisse wie etwa die Acht Unsterblichen des Daoismus, den Bericht über eine Geburtstagsfeier für Buddha Shakyamuni im Kloster Baiyun Si, die Bekanntgabe der Daten der wichtigsten Klosterfeste und vieles andere mehr. Das alles wäre schon durchaus genug für eine mehr als ausreichende Information über Klöster und Pilger am Wutai Shan. Doch damit nicht genug befasst sich der Autor in der ersten Hälfte des Buches sehr eingehend und kompetent mit dem geistigen und historischen Umfeld des alten China und hier insbesondere mit den spezifisch chinesischen Denkschulen – Konfuzius und der Moralphilosoph Mengzi seien hier als herausragend genannt -, die später bestimmenden Einfluss auf die Ausbildung eines eigenständigen chinesischen Buddhismus nehmen sollten. Wir erfahren Wissenswertes über die Verbreitung des Buddhismus in China und warum sich diese einzige je in China von außen übernommene Lehre so rasch gegenüber Daoisten und Konfuzianisten durchsetzen konnte. Schließlich werden die zehn wichtigsten Schulen des chinesischen Buddhismus beschrieben. Wieder hat Christoph Baumer, wie schon zuvor mit seinen Werken über die Bön-Religion, über Ost-Tibet und über die archäologischen Geheimnisse der Taklamakan ein informatives, spannendes und ungemein fundiertes Buch geschrieben.

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