Khmer – Menschen und Götter – Meisterwerke der Khmer Skulptur

Autor/en: Heiner Hachmeister (Hrsg)
Verlag: Hachmeister Verlag
Erschienen: Münster 2008
Seiten: 142
Ausgabe: Halbleinen
Preis: € 48.– (zzgl.Versand)
ISBN: 978-3-88829-056-3
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2010

Besprechung:
„Angkor Vat ist eines der großartigsten, wenn nicht das großartigste Werk von Menschenhand, das Hauptwunder der heutigen Welt“ schrieb Ad Reinhardt (1913-1967), amerikanischer Kunsthistoriker und Künstler des abstrakten Expressionismus 1961 über diesen größten Tempelkomplex der Welt. Diese Bewunderung galt der einzigartigen Architektur ebenso wie dem Figurenschmuck, der die Tempel überreich verziert. Höhepunkte sind hier zweifellos die Große Galerie der Flachreliefs im Inneren von Angkor Vat und die tanzenden, reich geschmückten und nur mit einem Sarong bekleideten Apsaras. Zu hunderten schmücken diese im 12. Jahrhundert von begnadeten Steinbildhauern aus Sandstein geschaffenen jungen weiblichen Geister der Wolken und des Wassers die Außenmauern des Eingangspavillons von Angkor Vat und überliefern einen wichtigen Aspekt der Kultur der Khmer, den Tanz. Mit der Religion und Kunst übernahmen die Khmer aus der buddhistischen und hinduistischen Mythologie Indiens auch die Apsaras als mythische himmlische Mädchen, die für die Götter in ihren himmlischen Palästen tanzen. Zugleich sind sie Abbild höfischer Kultur und Lebensfreude, wie wir von dem chinesischen Reisenden Zhou Daguan wissen, der als Gesandter des chinesischen Kaisers 1296/97 das Königreich der Khmer besuchte. Er berichtet, dass hunderte stimmungsvoll gekleideter Mädchen mit Blumen in den Haaren und Kerzen in den Händen für den König tanzten. Den Bildhauern von Angkor Vat ist es mit den Apsaras meisterhaft gelungen, den Rhythmus der Musik und des Tanzes gemäß den Idealen der Khmer von Schönheit, Grazie und Eros in den Stein zu bannen. So, wie man gotische Kathedralen als gebaute Musik bezeichnen kann, so ist jede Khmer-Skulptur eine Musik gewordene menschlich-göttliche Gestalt. Mit dieser Kernaussage in dem den Apsaras von Angkor Vat gewidmeten Essay schafft Matthias Bärmann in dem Katalog der Galerie Hachmeister den Kontext für 18 wundervolle Khmer-Skulpturen. Es ist nicht nur die herausragende Qualität dieser Skulpturen, sondern es sind die begleitenden Essays und Kommentare, die diesen Galerie-Katalog zu einem wichtigen Buch machen, das man jedem Kenner und Liebhaber der Khmer-Kunst empfehlen muss. Das ist einmal der Beitrag von Bärmann, der die den Skulpturen innewohnende Bewegung von der religiösen und sozialen Bedeutung des Tanzes für die Khmer ableitet and damit einen ganz neuen und interessanten Aspekt für die Betrachtung und Analyse der Khmer-Skulptur geschaffen hat. Ein weiterer Essay von Cino delle Piane, einem großen Kenner der Khmer-Skulptur, beschreibt die geschichtliche Entwicklung dieser Kunst, deren religiösen Charakter und ihre sich im Laufe des Khmer-Reiches vom 9. bis zum 15. Jahrhundert vollziehende stilistische Wandlung. Von Cino delle Piane sind auch die Beschreibungen der einzelnen Skulpturen, die in der Zeit vom 6. bis zum 13. Jahrhundert geschaffen wurden und damit diese stilistische Entwicklung dokumentieren. Schließlich sind es die Zitate von Ad Reinhardt, Gedanken des 1944 geborenen Schweizer Malers Helmut Federle und das Vorwort des Galeristen und Herausgebers, die die Frage beantworten, warum eine sonst der Klassischen Moderne und der zeitgenössischen Kunst verschriebene Galerie Skulpturen der Khmer ausstellt – und dies nicht zum ersten Mal. Die tiefgründige Schönheit dieser Kunst, ihre Nüchternheit, ihre Abstraktion und reduzierte Formensprache erschließt sich dem an moderner Kunst geschulten Auge in besonderem Maße. Für Heiner Hachmeister war die erste Begegnung mit der Khmer-Skulptur im Pariser Musée Guimet, wie er selbst schreibt, ein Schock, gar eine Art Erweckungserlebnis. Er fand genau das, was er in der figürlichen Skulptur immer gesucht hatte, eine statuarische Würde, eine Sinnlichkeit, die durch die Abstraktion im Ebenmaß eher gesteigert als unterdrückt wird und eine Bewegung im gemeißelten Stein, die aufgrund sparsamster gestalterischer Mittel mehr erahnt und gefühlt als gesehen werden kann. Die Affinität der Skulptur der Khmer zu minimalistischen oder reduzierten Bildkonzepten der Moderne ist offensichtlich. So wie Ad Reinhardt als ein früher Vertreter der minimalistischen Malerei durch geringste Hell- und Dunkeldifferenzierungen der monochromen Teilflächen seiner Bilder Bewegung entstehen lässt und wie dies Helmut Federer mit sparsamen geometrischen Strukturen und einer begrenzten Farbpalette durch einen fast impressionistischen, teils transparenten Farbauftrag gelingt, so wohnt auch diesen Skulpturen eine Spannung inne, die die Metapher vom Stein gewordenen Tanz glänzend beschreibt. Ganz besonders gilt dies für die Skulpturen der Prä-Angkor Periode, die in dem Buch unter anderen durch zwei hinreißende männliche Torsi aus dem späten 7. Jahrhundert vertreten sind. (Das Buch ist auch in einer englischen Ausgabe erschienen – hachmeister.galerie@t-online.de)

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