Shanghai Modern, 1919-1945

Autor/en: Jo-Anne Birnie Danzker, Ken Lum, Zhang Shengtian (Hrsg)
Verlag: Museum Villa Stuck und Hatje Cantz Verlag
Erschienen: München und Ostfildern-Ruit 2004
Seiten: 424
Ausgabe: illustrierte Broschur
Preis: € 39.– (an der Museumskasse)
ISBN: 3-7757-1497-9
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2004

Besprechung:
Chinas Impulse für die westliche Kunst- und Kulturgeschichte sind unübersehbar und Gegenstand ungezählter Kommentare, Abhandlungen und Ausstellungen. Seide etwa, ihre Herstellung, die Technik der Verarbeitung und die Muster, mag hier als Beispiel genannt werden, die Chinamode des 17. und 18. Jahrhunderts, Porzellan und seine Dekore oder das Faktum, daß ohne die Präsenz ostasiatischen Kunsthandwerks auf den Weltausstellungen der 60er und 70er Jahre des 19. Jahrhunderts der Aufbruch des Westens in ein neues Zeitalter von Kunst und Kunsthandwerk wohl nicht stattgefunden hätte. Doch die „Seidenstraße“ – hier gebraucht als Synonym für diesen chinesischen Einfluß – war niemals eine Einbahnstraße. Über die Handelswege, mögen sie durch Wüstensand, über schroffe Gebirge oder in sturmumtosten Meere verlaufen, gelangten auch Religionen, Ideen, Kunsttheorien und kunsthandwerkliche Techniken von West nach Ost. Die Kunst Chinas ist so immer wieder und ganz wesentlich vom Westen beeinflußt worden. Frühe buddhistische Skulpturen mit hellenistischen Stilmerkmalen sind hier ein Beispiel oder die erstaunliche Karriere des jesuitischen Missionars Giuseppe Castiglione (1688-1766), der unter Kaiser Ch´ien-lung (1736-1795) zum chinesischen Hofmaler avancierte. Seine perfekte Kunst der realistischen Wiedergabe im illusionistischen Malstil hatte eine gewaltige Anziehungskraft auf den Kaiser und einen starken Einfluß auf die Entwicklung der chinesischen Malerei im 18. Jahrhundert. Einem weiteren Kapitel westlichen Einflusses auf die chinesische Kunst sind Ausstellung und Katalog im Museum Villa Stuck in München (bis 16.01.2005, danach in der Kunsthalle Kiel) gewidmet. „Shanghai Modern 1919-1945“ zeigt den im Westen bis heute weitgehend unbekannten Aufbruch Chinas in die Moderne Kunst. Die Eroberung des Reiches der Mitte am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Eroberung durch den Westen, die weniger durch Waffengewalt als durch wirtschaftliche Effizienz erfolgte, hatte auch eine kulturelle Komponente. Chinas Künstler hatten die moderne Kunst des Westens entdeckt. Ausstellungen chinesischer Künstler in zahlreichen europäische Metropolen in den 30er Jahren schlugen Brücken. Aus Europa nach Shanghai zurückkehrende Künstler gründeten die juelangshe oder The Storm Society und schufen einen am Westen orientierten und vor allem den ästhetischen Theorien des Fauvismus, Kubismus und Surrealismus folgenden Stil. Das aufblühende, westlich orientierte, oft schrille Shanghai war der Schauplatz für die erstaunliche und vielfältige künstlerische Entwicklung jener Jahre. Die gezeigten über 200 Werke, Leihgaben aus Museen von Shanghai, Beijing und Hangzhou sowie aus England und aus Privatbesitz zeigen aber nicht nur Malerei und Grafik, sondern belegen mit Beispielen aus Fotografie und Film, Mode und Werbung, wie die Moderne im damaligen Shanghai alle Lebensbereiche durchdrungen hatte. Einige Höhepunkte verdienen hervorgehoben zu werden: Da ist der Schriftsteller und Revolutionär Lu Xun und die von ihm begründete Holzschnittbewegung. Die Umformung einer alten chinesischen Tradition in ein Medium zur Darstellung der tiefgreifenden sozialen und politischen Veränderungen jener Zeit ist faszinierend zu sehen ebenso wie die Erneuerung der traditionellen Literatenmalerei, die der Kalligraphie und Dichtkunst einen ganz neuen zeitgemäßen und doch klar chinesisch geprägten Ausdruck verlieh. Das gilt auch für die Fotografie: Die durch die Kombination mehrerer Negative entstandenen Komposit-Fotografien von Long Chin San sprengen die Grenzen zwischen Malerei und Fotografie. Die so entstehenden phantastischen, oft surrealen Landschaften bleiben aber stets den Grundregeln der chinesischen Malerei verhaftet, die vor allem auf rhythmischer Harmonie und lebendigem Fließen beruhen. Der Katalog vertieft die zahlreichen Aspekte, Bereiche und Strömungen modernen, westlich beeinflußten Zeitgeistes im Shanghai der 30er Jahre durch zahlreiche begleitende Essays westlicher und chinesischer Autoren. Ein Blick in das moderne Shanghai und auf die Kunst des 21. Jahrhunderts mit der Vorstellung einiger der wichtigsten Künstler aus dem Shanghai der Gegenwart beschließt das hervorragende Katalogbuch.

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