Japanese Cabinetry, The Art and Craft of Tansu

Autor/en: David Jackson, Dana Owen
Verlag: Gibbs & Smith Publishers
Erschienen: Salt Lake City 2002
Seiten: 256
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: US-$ –.–
ISBN: 1-58685-113-6
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Das westliche Bild traditioneller japanischer Wohnkultur ist geprägt von ästhetischer Leere, geschaffen durch Konstruktion, Licht und Schatten. Offene Grundrisse ermöglichen dem Bewohner, frei über den Raum zu verfügen. Papierbespannte Schiebewände variieren ihn für wechselnden Bedarf . Raum in seiner Veränderbarkeit kann so Wohn-, Meditations-, Versammlungs-, Tee-Haus und Tempel in einem sein. Fein gegliederte und mit Reispapier bespannte Fenster und Türen tauchen den Raum in ein mildes und diffuses Licht oder beziehen, wenn man sie öffnet, einen Ausschnitt aus der Natur mit ein in das Raumerlebnis. Tatami-Matten bedecken den Boden. Nie mit Schuhen betreten, dienen sie zum Schlafen, Sitzen und Meditieren. Ihr traditionelles Rechteckmaß und die Streifenstruktur der für ihre Herstellung verwendeten Binsen bestimmen Grundriss und Proportion des ganzen Hauses. Einrichtung im westlichen Sinne gibt es nicht. Der Mensch und sein Tun bestimmen den Zweck und die Ausstattung des Raumes. Handwerk, Essen, Schlafen, Meditation, die Teezeremonie oder die Bewirtung eines Gastes werden durch wechselnde Utensilien bestimmt. Ein Blütenzweig in einer schlichten Porzellanvase, irdene Teeschalen und ein Kohlebecken, ein niedriger Tisch mit einem Lackgefäß, ein zu Ehren eines Gastes ausgerolltes Bild betonen die Leere und geben ihr Inhalt. Diese Leere ist Ausdruck der japanischen Volksreligion, des Shintoismus ebenso wie des Buddhismus in seiner japanischen Ausprägung, des Zen. Das japanische Lebensgefühl hat im leeren Raum seinen überzeugenden harmonischen Ausdruck gefunden. Doch wohin mit diesen Utensilien wird sich derjenige fragen, dem dieser religiöse Ansatz nicht ausreicht? Tatsächlich kennt auch das klassische Japan Möbel. Allerdings nicht von Anfang an. Die Erfindung des Möbels in Japan geschah erst in der Edo Zeit (1603-1868). Andauernder Frieden, eine in Japan nie zuvor gekannte Prosperität und wachsende Städte schufen neue Bedürfnisse. Die ersten, die davon profitierten, waren die Kaufleute und Händler. Im alten Japan noch verachtet, wurden sie rasch reich und benötigten Behältnisse für ihren Besitz und ihre Waren. Der tansu, das japanische Möbel schlechthin, war erfunden. Die ersten tansu waren tragbare kleine Schubladenkästen für reisende Händler, auf dem Rücken zu tragen oder, etwas größer, auf Karren und Schiffen zu befördern. Vor allem diese Schiffstruhen, die bei rauher See oftmals viel auszuhalten hatten, waren an gefährdeten Stellen schwer mit Eisen beschlagen, ein Stilmerkmal, das dem tansu bis heute geblieben ist. Private Haushalte zogen nach. Küchen-tansu, tansu auf Rollen – die Feuergefahr japanischer Städte machte erfinderisch – und schließlich tansu für jeden denkbaren Aufbewahrungszweck. Größer oder kleiner oder stapelbar, mit Schubladen oder Schiebetüren, niemals wurde trotz nahezu unendlich vieler Variationen die quaderförmige Grundform aufgegeben. Das hatte zunächst einen praktischen Zweck, denn tansu wurden ihrerseits aufbewahrt, in speziell dafür vorgesehenen Räumen des Hauses oder der Dorfgemeinde. Das Ideal japanischen Wohnens blieb trotz des tansu möbellos. Das mag der Grund sein, warum der tansu im Westen so lange unbekannt und in der Literatur über japanisches Kunsthandwerk fast unbeachtet blieb. Dies hat sich nun jäh geändert. Mit Japanese Cabinetry von Jackson und Owen, beide Sammler, Händler und intime Kenner der Materie, liegt jetzt ein Kompendium dieser spezifisch japanischen Handwerkskunst vor, das keine Frage unbeantwortet lässt, das sich durch reichhaltiges und hervorragendes Abbildungsmaterial auszeichnet und das tiefe Einblicke in japanisches Leben und Wohnen ermöglicht. Der Blick auf ein einziges, meist gar nicht beachtetes Objekt des täglichen Lebens, seine Entwicklung, Herstellung und sein Gebrauch, dargestellt im Kontext mit japanischer Kultur, Religion, Philosophie und Lebensart, hat ein Buch entstehen lassen, das mehr über Japan erzählt als viele andere Japanliteratur. Und nicht nur das: Auch die nun 150 Jahre alte Geschichte der Adaption japanischer Kunst und japanischer Handwerkskultur in Europa und Amerika wird beschrieben, deren Einfluss auf die Entwicklung moderner Kunst im Westen, der unübersehbare Einfluss japanischen Designs auf die Architektur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, man denke nur an Mies van der Rohe oder an Frank Lloyd Wright, so dass man sich schließlich fragt, wie es geschehen konnte, dass der tansu erst jetzt seine Monographie erhielt. Tansu sind das Ergebnis der Zusammenarbeit von drei Handwerkern: Der Schreiner – im englischen Text wird bezeichnenderweise das Wort joiner gebraucht – der Schmied oder blacksmith und schließlich der finisher, der den Lack aufträgt und poliert, zeichnen für den fertigen tansu. Der Schreiner trägt die Verantwortung nicht nur für die Verarbeitung sondern vor allem für die Auswahl des Holzes, das wesentlich den Gesamteindruck des tansu prägt. Japanische Ulme, keyaki, ist hierfür das Material der Wahl. Dessen lebhafte Maserung ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis eines genauen Studiums des Baumes und bewusst gesetzter Schnitte mit der Handsäge. Handgeschmiedete, schwarze Eisenbeschläge, oft mit floralem oder geometrischem Dekor, das die Befestigungsnägel in die ästhetische Wirkung mit einbezieht, bilden einen spannungsreichen Gegensatz zu dem warmen Glanz der mit urushi, dem transparenten japanischen Lack veredelten Holzoberfläche. Formales Kennzeichen der meisten tansu ist ihre bewusste Asymmetrie, von den anonymen Gestaltern meisterhaft eingesetzt, um mit einfachen Mitteln und einfachen Grundformen spannungsreiche minimalistische Kunstwerke zu schaffen. Mit dem Beginn der Industrialisierung Japans in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Meiji-Periode (1868-1912) erlebten Kunst und Handwerk der tansu-Herstellung ihre Blütezeit. Heute kann man sie nur noch sammeln, lieben, benutzen und restaurieren. Tipps für all das enthält das Buch, bis hin zu Adressen von Händlern oder Lieferanten für Werkzeug und Holz. Empfehlenswert für Designer, Sammler, Möbelliebhaber, Japankenner und solche, die es werden wollen. (- mb -)

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