Daisen-in – Ein Zen-Tempel des 16. Jahrhunderts in Kyoto

Autor/en: Hans Günter Wachtmann, Ingrid von Kruse
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2000
Seiten: 192
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: DM 98.–
ISBN: 3-7774-8610-8
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Der Daisen-in ist nicht der berühmteste Zen-Tempel Kyotos. Er ist nur ein Subtempel des zur Rinzai-Zen-Schule gehörenden Daitoku-ji, nur einer von insgesamt 23 Tempeln dieser Anlage, ein kleines Areal mit dem Hojo, dem eigentlichen Tempel als Mittelpunkt und mit kleinen, um ihn herum gruppierten Gärten. Und doch ist der Daisen-in einer der Höhepunkte der japanischen Geistes- und Kunstgeschichte des frühen 16. Jahrhunderts. Der Daisen-in ist ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Malerei und Gartengestaltung und wie kaum ein anderer Tempel Japans vermittelt er die Untrennbarkeit von höchsten ästhetischen Idealen mit spirituellen Inhalten. Dazu gehört das Hauptgebäude, der Hojo, Beispiel der Shoin-Architektur des frühen 16. Jahrhunderts, ein einfacher, harmonischer, der buddhistischen Quadrat-Symbolik verpflichteter Bau, ein Ort des Strebens nach der Erfahrung der Buddha-Natur, ausgestattet mit Schiebewänden, die ihn symmetrisch unterteilen. Das sind die großartigen, mit knapp 10 Metern Länge beinahe monumentalen Wandmalereien des berühmten Kano Monotobu (1476 – 1559), heute in den Nationalmuseen von Tokio und Kyoto, doch in diesem Buch wieder vereint. Die Themen dieser Malereien, „Persönlichkeiten des Alten China“, „Zen-Patriarchen“, aber auch „Der Reisanbau“ oder „Blumen und Vögel der Vier Jahreszeiten“ sind der Gedankenwelt des Taoismus entnommen. Die zauberhaften Naturdarstellungen erscheinen ganz diesseitig und doch liegt ihnen die Gleichsetzung der Natur mit dem Leib Buddha zugrunde. Der faszinierendste Beitrag zu diesem Gesamtkunstwerk aber sind die Gärten des Daisen-in, der Nordostgarten und der Südgarten vor allem, die die annähernd fünf Jahrhunderte seit ihrer Entstehung (1509 – 1513) unversehrt überstanden haben. Das Buch beschreibt Funktion und Architektur des Tempels, die taoistischen Inhalte der Wandmalereien, ist aber in erster Linie der japanischen Gartenkunst gewidmet, die auf der Welt nichts Vergleichbares kennt. Der japanische Garten, der zumeist nicht zu begehen ist, der vielmehr ein Bild darstellt, das von einem Gebäude aus im Sitzen oder Knien in meditativer Versunkenheit betrachtet wird, ist für westlich geprägte Menschen nicht leicht zu verstehen. Oft wird alleine die Ästhetik dieser sorgfältigen Kunstgebilde gesehen und bewundert. Doch das ist nicht alles. Nirgendwo ist Buddhistisches mit Elementen taoistischer Herkunft zu spirituellen Inhalten sichtbarer und faßbarer verschmolzen als in japanischen Gärten. Das gilt insbesondere für Gärten im Karesansui-Stil, jenem Gartenstil, der Gärten unter Verzicht auf Wasser nur aus Steinen, Sand und spärlicher Vegatation in Form von Moos, Farnen, Bäumen und Sträuchern komponiert. Der Nordostgarten des Daisen-in ist ein solcher Karesansui-Garten in höchster Vollendung. Er ist zunächst ein Ensemble wunderbarer Steine, ihre Größe ist auf die bescheidenen Maße (104 qm) des Gartens abgestimmt, ihre Plazierung bringt ihre Eigenart zur Geltung und sie fügen sich zu einer vielgestaltigen Komposition, von der eine kraftvolle Wirkung ausgeht. Man spürt darin die innere Ordnung. Diese Komposition vereinigt auf knappen Raum traditionelle Motive taoistischen Ursprungs – Horai-Berg, Kranich- und Schildkröteninsel – mit der durch die Landschaftsmalerei angeregten Darstellung einer Gebirgs- und Flußlandschaft. Jeder Stein ist Bestandteil einer nicht leicht zu begreifenden Aussage des Zen-Buddhismus, Teil einer komplexen Ikonographie. Da ist der Drachenkopfstein, der Wasserkoboldstein, der Schlafende-Kuh-Stein oder der Wellespritzerstein. Ästhetischer und spiritueller Höhepunkt dieses Gartens ist der Horai-Komplex. Hier, wo das Grün der Kamelie als Horai-Berg den Gebirgshang aus Fudo- und Kannon-Stein überwölbt, ist sichtbar Buddhistisches mit einem Element taoistischer Herkunft verschmolzen. Es ist die Verkörperung der alten taoistischen Vorstellung der Insel der Seligen. Zu ihr geören Seeschildkröten als Inselträger und Kraniche, die die Unsterblichen durch die Lüfte tragen. Beide Tiere wurden wie die wunderbare Insel P’eng-lai zu Symbolen langen Lebens und als solches sind auch die entsprechenden Gartenmotive zu verstehen, der Horai-Berg, die Kranichinsel und die Schildkröteninsel. Auch das Schatzschiff – ein weiterer Stein – gehört in diesen Zusammenhang: Es soll aus dem Reich der Unsterblichen Gold und Silber holen. Die Kiefern schließlich, die auf den Inseln wachsen, symbolisieren ebenfalls langes Leben. Zum Nordostgarten bildet die Stille des Südgartens den Kontrast schlechthin. Er ist nichts weiter als eine linien- und wellenförmig geharkte Fläche aus weissem Flußkies, aus der sich nur zwei kreisförmig umharkte kleine Kegel gleicher Farbe und gleichen Materials erheben, in einer Ecke ein Sala-Baum als einziger Rest des vegetabilischen Lebens. Dieser „Ozean der Leerheit“ vermittelt eine ferne Ahnung von dem, worauf die Lehre von der Leerheit hinzielt, die Aufhebung des Gegensatzes von Form und Leere. Der Inbegriff der Lehre des Herz-Sutra: „Form ist wirklich Leere, Leere wirklich Form“, wird hier begreifbar. Das Buch wird diesem unvergleichlichen Kleinod vorbildlich gerecht. Die Texte von Hans Günter Wachtmann befassen sich nicht nur erschöpfend und kenntnisreich mit den Bestandteilen dieses Gesamtkunstwerks, sondern führen auch ein in die Historie Japans und die Geschichte der japanischen Gartenkunst. Die Aufnahmen der international bekannten Fotokünstlerin Ingrid von Kruse faszinieren durch zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen: Die Farbbilder entsprechen dem gewohnten Sehen und zeigen die Gärten, wie sie sind, während die Schwarzweißfotos durch Reduktion und starke Kontraste ihren geistigen Gehalt zum Ausdruck bringen. (- mb -)

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