Die Rückkehr des Buddha – Chinesische Skulpturen des 6. Jahrhunderts – Der Tempelfund von Qingzhou

Autor/en: Lukas Nickel
Verlag: Museum Rietberg
Erschienen: Zürich 2000/2001
Seiten: 236
Ausgabe: hardbound
Preis: DM 78.–
ISBN: 3-907077-01-6.
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Der Buddhismus stand am Anfang jenseits des Bildes. Er war eine anikonische Religion uns stellte zentrale Gestalten und Wesenheiten seiner Glaubenswelt durch Symbole dar: Buddha etwa durch seine Fußabdrücke oder durch das Rad der Lehre. Shakyamuni, der historische Buddha entzog sich nach seinem Abschied aus dieser Welt und seinem Eingehen in die erleuchtete Vollkommenheit des Nirvana der auf empirische Wahrnehmung diesseitiger Phänomene beschränkten Menschheit. Seinem Wesen nach wurde Buddha als prinzipiell unanschaubar und deshalb auch nicht darstellbar gedacht, ja jeder Versuch einer bildlich-personalen Gestalt könne nur eine trügerische Verfälschung des wahren Absoluten sein, glaubte man. Eine Änderung, die Rückkehr des Buddha, erfolgte mit der Ausprägung des Mahayana, der buddhistischen Lehre des „Großen Fahrzeuges“. Etwa gegen Ende des ersten und zu Beginn des 2. Jahrhunderts unserer Zeitrechung begann man aufgrund eines tiefgreifenden Wandels in Lehre und Frömmigkeit die Person des Buddha auch bildlich darzustellen. Als dann der Buddhismus über die Seidenstraße nach Osten vordrang war er bereits eine ikonische Religion, und dieser Bilderkult gelangte in China seit dem vierten Jahrhundert zu voller Blüte. Die frühe buddhistische Skulptur Chinas ist eine Entdekung erster Forschungsexpeditionen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Entdekung der Höhlentempel von Dunhuang, Yungang und Longmen brachte erste Kunde skulpturaler Meisterschaft, die aber vor der Attraktivität der dort vorgefundenen malerischen Bildwerke verblaßte. Erst bedeutende archäologische Grabungen im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts rückten das Thema in den Vordergrund, und der sensationelle Fund von Qingzhou öffnete den Blick auf ein ganzes Jahrtausend buddhistischer skulpturaler Tradition in China. Im Oktober 1996 wurden in der Stadt Qingzhou in der Provinz Shandong, etwa auf halbem Weg von Peking nach Schanghai, auf dem Gelände des ehemaligen Klosters Longxin mehr als 400 buddhistische Steinskulpturen entdeckt, eine Sternstunde der Archäologie. Diese Skulpturen umfassen die Zeitspanne von 7 chinesischen Dynastien, beginnend mit den Nördlichen Wei (368-534) bis zu den Nördlichen Song (960-1279). Die überwiegende Anzahl der Figuren stammt aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, und 33 der schönsten und eindrucksvollsten haben eine Reise nach Europa angetreten. Sie werden nach Berlin nun auch in Zürich (Rietberg Museum: 12.01. bis 01.04.2002) und dann in London gezeigt. Der federführend vom Museum Rietberg erarbeitete und gestaltete Katalog führt in mehreren Essays tief in die buddhistische Bilderwelt Chinas, dokumentiert die archäologische Entdeckung von Qingzhou und gestattet einen Blick auf erhabene Meisterwerke chinesischer Kunst. Die hohe künstlerische und ästhetische Qualität der ausgegrabenen Figuren aus Sandstein zeigt sich in ihren fliessenden Linien, in der präzisen und liebevollen Ausgestaltung der Details, in der anmutigen Körperhaltung und in dem in sich gekehrten Gesichtsausdruck der Buddhas und Bodhisattvas. Vielfach sind Teile von Vergoldung und originaler Farbfassung erhalten. Der kraftvolle Glanz des Goldes und die farbenprächtige Bemalung lassen die ursprüngliche Schönheit der Bilder aus Stein voll zum Tragen kommen und sind ein Beleg dafür, daß ursprünglich auch in China – ähnlich wie in der griechischen Antike und bei den Skulpturen in mittelalterlichen Kathedralen – alle Tempelfiguren polychrom waren. Die Figuren sind innerhalb von 50 Jahren entstanden. Sie stammen aus der Dynastie der Östlichen Wei (534-550) und derjenigen der Nördlichen Qi (550-577) und zeigen einen erstaunlichen Stilwandel im Wechsel der Dynastien. Das Nomadenvolk der Nördlichen Wei nahm mit großem Eifer chinesische Sitten und Gebräuche an und versah seine Kultbilder nicht mehr mit indischen sondern mit traditionellen chinesischen Gewändern. Ganz anders die Künstler der Qi-Dynastie. Weit weniger offen für chinesische Einflüsse zeigen ihre Figuren einen deutlich von indischer Gupta-Kunst beeinflußten Stil. Die Buddha-Figuren der Nördlichen Qi-Zeit sind nun in ein dünnes, sich eng an den Körper schmiegendes Gewand gekleidet, wie es für die Kunst von Mathura und Sarnath üblich war. So bieten Katalog und Ausstellung nicht nur kostbarste Schätze chinesischer Kunst, sondern auch einen Einblick in eine Periode Chinas, als die Geisteswelt des Konfuzianismus und Daoismus erstmals mit einer fremden Geistesmacht voller segensreicher Verheissungen und heilsbringender Aussichten konfrontiert wurde, mit einer dynamischen Religion, die dank ihrer Frische und Anziehungskraft alle Schichten der Gesellschaft rasch zu durchdringen und zu überzeugen vermochte.

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