Alfred Baur – Pioneer and Collector

Autor/en: Monique Crick, Helen Loveday, Estelle Niklès van Osselt
Verlag: Fondation Baur und 5 Continents Edition
Erschienen: Genf und Mailand 2015
Seiten: 458
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 250,00
ISBN: 978-88-7439693-1 (5 Continents)
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2015

Besprechung:
Schon immer haben abenteuerlustige Schweizer ihr Land verlassen, um den Erfolg in der Fremde zu suchen. Die Innerschweizer Söldner und Kriegsknechte aus Uri, Schwyz und, Unterwalden sind hier das bekannteste Beispiel. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert waren sie auf den damaligen europäischen Kriegsschauplätzen gefürchtet und begehrt. Manche von ihnen brachten es in Diensten ihrer hohen Herren zu militärischem Ruhm, Ansehen und Vermögen. Die prächtigen Herrenhäuser aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert in Schwyz sind bis heute ein sehenswertes Denkmal dieses europaweiten militärischen Unternehmertums. Da nicht selten auf fremden Boden Schweizer gegen Schweizer kämpften, bereiteten Aufklärung und eidgenössische Gesetzgebung dem militärischen Nomadismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Ende und seither finden nur einige wenige in der Schweizer Garde des Vatikan ein allerdings friedliches Auskommen. Die Industrialisierung und die beginnende Vernetzung der Welt schufen jedoch neue Chancen. So bestieg der 19jährige Alfred Baur aus Andelfingen bei Zürich 1884 ein Dampfschiff von Marseille nach Ceylon und erwarb dort alsbald in Palugaswewa Grund und Boden für eine Kokosplantage und gründete in Colombo eine Fabrik für Düngemittel. Bis heute ist die A. Baur & Co. Ltd in Colombo eines der führenden Wirtschaftsunternehmen in Sri Lanka mit weitverzweigten Interessen von der Landwirtschaft über Chemie und Medizin bis zu Luftfahrt und Tourismus. Neben Tee, Textilfarben und Sonnenbrillen gehören auch Schweizer Müsli und Schokolade zu den in der ganzen Welt vertriebenen Waren des Konzerns. Wenn nun zum 150sten Geburtstag von Alfred Baur ein ganz wunderbares Buch erschienen ist, so ist es nur am Rande dem Industriepionier, Philanthropen und Wohltäter gewidmet; in erster Linie ist es eine Hommage für einen der weltweit bedeutendsten Sammler chinesischer und japanischer Kunst. 1907 kam Alfred Baur aus Colombo zurück und ließ sich in Genf, der Heimatstadt seiner Frau Eugénie nieder. Es war die Zeit als japanische Kunst und japanisches Kunsthandwerk nach den großen Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts einen beispiellosen Boom erlebten. Dabei stand weniger die „hohe“ Kunst wie Malerei und Skulptur im Mittelpunkt des Interesses sondern die angewandte Kunst, die handwerklich vollendete Gestaltung von Gebrauchsgegenstanden wie Teller, Vasen und Stoffe oder auch Schwerter und Accessoires der Kleidung. Und genau diese eher alltäglichen Dinge waren es, die Alfred Baur faszinierten und die er zu sammeln begann, auf höchstem Niveau, mit sicherem Geschmack und mit Hilfe der besten Experten seiner Zeit. Thomas Bates Blow, ein etwas skurriler britischer Globetrotter, Sammler und Händler begleitete die Anfänge der rasch wachsenden Sammlung. Mit einer Weltreise des Ehepaars Baur in den Jahren 1923 und 1924, auf deren Programm auch Japan und China standen, begann dann die Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem japanischen Händler Tomita Kumasaki, die bis zu Baurs Tod (1951) währte. Tomita war es, der Baurs Interesse für chinesisches Porzellan weckte, das zu einem der Schwerpunkte der Sammlung wurde. Die Sorgfalt und Perfektion, mit der Alfred Baur sammelte verwandte er auch auf die Sicherung und Fortwirkung seines Lebenswerkes. Das bis heute florierende Unternehmen in Sri Lanka und eine wohl ausgestattete, aktive Stiftung für wohltätige Zwecke belegen diese Umsicht. Seine Sammlung, die annähernd 10.000 Objekte umfasst und die Alfred Baur nicht nur als eine in sich geschlossene Collection betrachtete, sondern auch als ein erhaltenswertes kulturelles Erbe für spätere Generationen, legte er in die Hände der Alfred und Eugénie Baur-Duret Foundation. Bei der Suche nach einem Gebäude hatte Baur die Vision, die Sammlung nicht museal, sondern wie in einem privaten Wohnhaus zu präsentieren und er erwarb eine geeignete Villa in dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen, vornehmen Genfer Viertel Tranchées. Das „musée des arts d´extréme orient“, das erste seiner Art in der Schweiz, konnte 1964 eröffnet werden und wurde seither mehrfach erweitert, ohne den von Alfred Baur vorgegebenen Charakter zu verlieren – ein Ort, der jede Reise nach Genf lohnt.

Das Buch zum 150sten Geburtstag von Alfred Baur entspricht in jeder Hinsicht dem hohen Qualitätsanspruch des Sammlers. Der außergewöhnliche Pionier, Wohltäter und Connaisseur, der testamentarisch die Gestaltung der Sammlungskataloge – heute zum Teil gesuchte Raritäten – festlegte, hätte an diesem Band seine helle Freude. Hier sind in erster Linie die meisterhaften Aufnahmen des Fotografen Hughes Dubois zu erwähnen. 155 Objekte, chinesische Porzellane von Tang bis Qing, Objekte aus Jade und Bergkristall, ein gutes Dutzend Snuffbottles, japanische Lackarbeiten, vorwiegend Inro und andere Behältnisse, Schwertstichblätter, Cloisonné, Porzellan von Arita bis Satsuma, Netsuke, japanische Farbholzschnitte vorwiegend des Kabuki-Theaters und einige exquisite japanische Seidenbrokate in Lampas-Technik werden, was Farbqualität, Ausleuchtung, Schattenwurf und Hintergrund anlangt in einer Art und Weise vorgestellt, wie sie das Original hinter Glas und in der Vitrine kaum je zu vermitteln vermag. Dies gilt insbesondere für seitengroße Detailaufnahmen, die etwa die Raffinesse songzeitlicher Glasuren oder die unglaubliche Feinheit japanischer Goldlackarbeiten, die man sonst oft nur erahnen kann, erleben lassen.

Der einführende Text von Monique Crick, der Direktorin der Fondation Baur würdigt Leben und Werk des Stifters als eines erfolgreichen industriellen Pioniers, philanthropischen Wohltäters, vielfachen Bauherrn und herausragenden Sammlers. Das ist informativ, beeindruckend, spannend zu lesen und mit Dutzenden von Fotos aus dem Familienalbum illustriert. Der Essay von Estelle Niklès van Osselt, Kuratorin der Fondation, führt anhand der Objekte der Sammlung durch die Geschichte chinesischer Keramik ebenso wie durch die Räume des Museums in Genf. Helen Loveday schließlich, ebenfalls Kuratorin der Fondation, vermittelt mit ihrem Beitrag einen Eindruck über die Breite und Vielfalt japanischen Kunsthandwerks vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, wie sie die Sammlung in Genf präsentiert. So erleben wir Alfred Baur als einen erfolgreichen Schweizer Nomaden, der sein Vermögen in der Fremde verdiente und sein Erbe seiner Heimat vermachte, so wie es schon die Schwyzer Reisigen hunderte von Jahren vor ihm praktiziert hatten.

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