Inro – Gürtelschmuck aus Japan – The Trumpf Collection

Autor/en: Uta Werlich und Susanne Germann
Verlag: Linden-Museum und Arnoldsche Art Publishers
Erschienen: Stuttgart 2016
Seiten: 432
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 98,00
ISBN: 978-3-89790-444-6
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2016

Besprechung:
Von einer kleinen mechanischen Werkstätte in Stuttgart zu einem der Weltmarktführer für Werkzeugmaschinen und Lasertechnik und dennoch immer in Familienbesitz – das ist eine Erfolgsgeschichte wie sie typisch ist für schwäbischen Erfindergeist und Unternehmertum. 1923 erwarb Christian Trumpf einen kleinen Stuttgarter Handwerksbetrieb, der damals biegsame Wellen für Zahnärzte herstellte und begründete damit ein durch Wachstum, Innovation und zunehmende Internationalisierung geprägtes Unternehmen, das heute mit 10.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von fast 3 Mrd. Euro zu den Juwelen deutscher Hochtechnologie gehört. Beschäftigt man sich näher mit dem Unternehmen und den Unternehmerfamilien, so stellt man mit Überraschung fest, dass schwäbischer Familiensinn und das Streben nach Wachstum, Qualität und Perfektion nicht nur im Maschinenbau, sondern auch im Sammeln von Kunst zu Höchstleistungen geführt hat. Christian und Anna Trumpf haben eine bedeutende Sammlung japanischen Kunstgewerbes zusammengetragen, die sie schon 1966 an das Stuttgarter Linden-Museum gegeben haben. Es war die gemeinsame Liebe zu den zauberhaften Objekten japanischer Kleinkunst, Lackarbeiten und Tsubas, vor allem aber Netsuke und Inrō, die enge Bande zwischen den Familien Trumpf und Leibinger begründete. So zieht sich die Neigung zu Japan und seiner Kunst wie ein roter Faden durch die Familiengeschichte und mit diesem Wissen kann man sich über die erstaunliche Tatsache, dass die derzeitige Vorsitzende der Geschäftsführung der Trumpf GmbH, Nicola Leibinger-Kammüller in Japanologie promoviert hat, nicht mehr wundern. Nicola Leibinger-Kammüller schrieb denn auch das Geleitwort zu dem jüngst erschienenen Bestandskatalog der Inrō-Sammlung des Linden-Museums, die bis auf einige wenige Stücke aus den Inrō der Trumpf Collection besteht. Zusammen mit dem zweibändigen Werk über die 848 Netsuke der Sammlung, das schon im Jahre 2000 mit einem Vorwort von Berthold Leibinger, dem Vater von Nicola, erschien, ist damit ein eindrucksvolles Standardwerk zu einem als Sammlungsobjekt hochgeschätzten Kleidungsaccessoire japanischer Männer des 18. und 19. Jahrhunderts abgeschlossen.

Inrō bestehen üblicherweise aus drei bis fünf ovalen, übereinander gestapelten Behältnissen, deren oberstes mit einem Deckel verschlossen ist. Sie werden an einer Kordel geführt und bilden, ineinandergesteckt ein bis zu etwa 10 cm hohes Set, dessen Außenfläche sich zu vielseitiger Verzierung in unterschiedlichen Techniken geradezu aufdrängt. Das Inrō als Bestandteil der üblicherweise taschenlosen japanischen Männerbekleidung entwickelte sich seit dem 17. Jahrhundert zu einem unentbehrlichen Accessoire japanischer Männer um in ihm notwendige Kleinigkeiten wie Münzen, Tabak, Medizin und das persönliche Siegel stets mit dabei zu haben. Es erlebte seinen Höhepunkt im 18. und 19 Jahrhundert. Das Inrō wird mit der nach oben verlängerten Kordel, an deren Ende zur Sicherung der kleine, vollplastisch geformte Knebel, das Netsuke, befestigt ist, in den Obi, den Gürtel, eingehängt. Als sichtbares Accessoire der Kleidung bot das Ensemble aus Inrō und Netsuke eine ideale Möglichkeit die persönlichen Vorlieben und Neigungen sowie Status und Wohlstand des Trägers zur Schau zu stellen.

253 Inro werden in dem voluminösen Band von den beiden Autorinnen sorgfältig mit allen notwendigen Daten beschrieben, wobei Dank der Sorgfalt des Sammlers zumeist auch Datum und Ort des Erwerbs angegeben sind. Ein Anhang mit einem Glossar der Namen und Begriffe und vor allem mit der Abbildung und Erklärung der Signaturen bestätigt den Anspruch des Buches als Handbuch und Standardwerk. Von den vielen Künstlerpersönlichkeiten, die die Kunst des Inro geprägt haben, sei hier nur Ogata Korin (1658-1716) genannt, der als der wichtigste Vertreter bei der Entwicklung eines genuin japanischen Stils in der dekorativen Malerei und damit auch der Dekoration der Inrō gilt und der bis ins 19. Jahrhundert viele Nachahmer gefunden hat, die mehr oder weniger originelle Kreationen in seiner Manier geschaffen haben. Allerdings hat Korin, ganz im Gegensatz zu seinen Adepten, die besten seiner Lack-Inrōs nicht signiert, was mitunter für Verwirrung sorgt. Wie dem auch sei, im Mittelpunkt des Buches stehen die hervorragenden Fotos der Inrō, meist mit Abbildungen von Vorder- und Rückseite, immer wieder seitengroß und oft zusammen mit einem passenden Netsuke aus der im Jahre 2000 publizierten Sammlung. Es ist die Gegenüberstellung dieser beiden Bestandteile des maskulinen Gürtelschmucks, die die Besonderheit des Inrō hervorhebt. Während die Netsuke so gut wie immer vollplastische, also dreidimensionale Skulptur sind, ist das Inrō Träger zweidimensionaler Kunst auf einer durch den Zweck bestimmten, kleinen Fläche. Und diese hochrechteckige, gelegentlich auch abgerundete Fläche ist nicht nur ein Tummelplatz unterschiedlicher Materialien und kunsthandwerklicher Techniken, wobei Lackarbeiten bei weitem im Vordergrund stehen, sondern ein Panoptikum japanischer Motive. Natürlich finden wir auf Inrōs Ansichten des Fuji, japanische Winterlandschaften und Ansichten berühmter Tempel. Vor allem aber sind Inrō eine schier unerschöpfliche Quelle für japanische Symbolik, Mythologie und Alltagskultur, die in den miniaturgleichen Darstellungen sichtbar und in den Beschreibungen erklärt wird. Ob Pflanzen wie Chrysantheme oder Päonie, Figuren aus der Mythologie, Dämonen und Wächtergottheiten, Gelehrte oder Schauspieler, Hirten, Pilger, Handwerker oder Liebespaare und immer wieder Tiere von Adler bis Ziege – alle erzählen sie eine Geschichte, sind dekorativ und bedeutungsvoll zugleich. Am Ende weiß man nicht, was man mehr bewundern soll, die Vielfalt der Motive oder die meisterhafte Beherrschung des typischen japanischen Mediums Lack. „Inrō“ ist eine beispielhafte Museumspublikation, wie sie heute wegen der ständig knapper werdenden Budgets deutscher Museen leider zur Seltenheit geworden ist. (Texte deutsch und englisch).

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