Frühchinesische Keramik

Autor/en:               Olaf Thormann (Hrsg)

Verlag:                    GRASSI Museum für Angewandte Kunst und Arnoldsche Publishers

Erschienen:            Leipzig und Stuttgart 2017

Seiten:                      312

Buchart:                   Hardcover

Preis:                        € 78,00

ISBN:                        978-3-89790-485-3

Kommentar:            Michael Buddeberg, August 2017

Besprechung:

Francis Bacon (1561-1626), der große englische Philosoph und Staatsmann schrieb im frühen 17. Jahrhundert, dass es drei Erfindungen waren, die das Antlitz und den Zustand der Welt entscheidend und für immer verändert haben, nämlich die Druckkunst, das Schießpulver und die Kompassnadel. Was Bacon damals nicht wusste, war, dass diese Erfindungen ihren Ursprung nicht im Westen, sondern im fernen China hatten, dass also der Technologietransfer aus dem fernen Osten eine entscheidende Rolle für den Aufbruch Europas aus dem Mittelalter in die Neuzeit gespielt hat. Die Liste bedeutender chinesischer Erfindungen lässt sich beliebig verlängern, etwa um den Hochofen zur Stahlerzeugung, das Papier, diverse textile Techniken, das Axialruder und nicht zuletzt das Porzellan, das „weiße Gold“, das edelste aller keramischen Produkte. Das Brennen von Ton zu Keramik ist allerdings keine chinesische Erfindung, sondern eine globale Handwerkskunst, deren Anfänge etwa 30.000 Jahre zurückliegen. In China sind erste keramische Produkte nicht vor dem 6. Jahrtausend v.Chr. nachweisbar, also keineswegs sehr früh, doch die dann einsetzende technologische und ästhetische Entwicklung ist einzigartig. Die Einführung der Töpferscheibe, Experimente mit Ton und dessen Zusammensetzungen, vor allem aber die Konstruktion immer besserer Brennöfen mit immer höheren Temperaturen und damit auch die Entdeckung und Entwicklung vielfältigster Glasuren begleiten eine atemberaubende Entwicklung, die etwa in der Mitte des ersten Jahrtausends n.Chr., also gut tausend Jahre vor deren Erfindung in Europa, zu den ersten Porzellanerzeugnissen führte.

Zum Bestandskatalog des Leipziger Grassi Museums über dessen Sammlung frühchinesischer Keramik stellt sich ganz selbstverständlich die Frage der zeitlichen Zäsur zwischen „früh“ und dem Zeitraum danach. Da diese Frage angesichts der 8000 Jahre währenden Tradition chinesischer Keramik durchaus unterschiedlich beantwortet werden kann, sei hier das Ergebnis vorweggenommen: Es werden nur Keramiken bis zum Ende der Yuan-Dynastie (1279-1368) gezeigt, letztere unter Ausschluss von „Blau-Weiß“, also des Porzellans mit kobaltblauem Unterglasurdekor, das spätestens seit dem Ende der Song-Zeit (960-1127) mehr und mehr die chinesische Porzellan-Produktion dominierte und im Westen zum Inbegriff für chinesisches Porzellan wurde. Die von dem Sammler Heribert Meurer im Katalog erzählte Geschichte seiner Sammlung erklärt diese zeitliche und sachliche Grenze: Einmal spiele bei der monochromen, frühen Keramik die Glasurfarbe und das Spiel mit Dekoren unter der durchscheinenden Glasur gegenüber der Malerei als Dekorationselement die wesentliche und ästhetisch faszinierende Rolle und zum anderen galt in den Jahren seiner Sammlungstätigkeit – und das gilt noch heute – das Interesse der vorwiegend chinesischen Käufer der signierten, späten Keramik der Ming- und Qing-Dynastie, wodurch frühe chinesische Keramik preislich im Rahmen blieb.

Mit der 175 Objekte umfassenden und dem Grassi Museum überlassenen Sammlung Meurer und einem Altbestand von 29 Stücken aus dem Museums präsentiert der Katalog eine repräsentative Kollektion mit Beispielen aus den frühen Dynastien von Zhou bis Yin, um dann mit Dutzenden von Objekten bei Keramiken aus der Zeit der Tang- (618-906) und der Song-Dynastie (960-1127) einen unübersehbaren ästhetischen Schwerpunkt zu setzen. Neben der formalen Vielfalt der Keramiken der Tang – die figürlichen Keramiken sind hier besonders zu erwähnen – beeindruckt vor allem die Entwicklung eines reichen Spektrums unterschiedlicher Glasuren. Hier sind es vor allem die typischen Sancai-Glasuren in verlaufenden braun-, weiß- und grün-Tönen, daneben aber eine überraschende Vielfalt ein- bis vielfarbiger Varianten, die vorwegnehmen, was die Keramiker der Song-Zeit – gleichgültig ob auf Steinzeug oder auf Porzellan – zur ästhetischen Perfektion entwickelten. Zarte Formstücke mit gemodeltem Dekor und farblosen oder blau-craquelierten Glasuren mit kupferroten bis purpurfarbenen Flecken bewerben sich mit Longquan-Seladonen, weißem bis hellblauem Qingbai-Porzellan und einer Vielzahl von raffinierten Glasur-Varianten um die Palme für die schönste chinesische Keramik – großartiges Material für die Diskussion der ewigen Frage, was nun qualitativ und ästhetisch höher zu bewerten ist, die minimalistische Keramik der Song-Zeit oder die handwerklichen Höchstleistungen aus den Werkstätten des Kaisers Qianlong.

Die Präsentation der Sammlung ist beispielhaft. Jedem der 204 Objekte ist eine ganze Seite gewidmet, die neben Beschreibung und Provenienzangaben drei Abbildungen enthält, welche einmal die Keramik als Ganzes und, mit zwei weiteren Ansichten, Details oder Besonderheiten des Dekors oder der Glasur zeigen. Diesem wissenschaftlichen Teil ist ein „Fotoparcours“ vorangestellt, der mit 60 ganzseitigen, wundervollen Fotos des Fotografen Paul Altmann die schönsten und wichtigsten Keramiken der Sammlung in toto oder mit beeindruckenden, technisch perfekten Makroaufnahmen erschließt, wodurch Schönheit und Technik frühchinesischer Keramik fast greifbar wird. Die begleitenden Texte gewähren einen Blick auf die Geschichte Chinas, seine Kultur, Gesellschaft und Religion, erklären die Entwicklung der Keramik von der Irdenware über das Steinzeug zum frühen Porzellan und – last not least – lassen den Sammler zur Entstehung seiner Kollektion und über seine ganz persönliche Motivation zum Sammeln und seine Liebe zur frühchinesischen Keramik zu Wort kommen. So und nicht anders muss ein Sammlungskatalog beschaffen sein!

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