Das Erbe Tibets – Ladakh, Land der hohen Pässe

Autor/en: Franz Binder
Verlag: Bruckmann Verlag
Erschienen: München 2010
Seiten: 192
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 39.90
ISBN: 978-3-7654-5516-2
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2011

Besprechung:
Vor 10 Jahren publizierte Franz Binder zusammen mit Winfried Rode einen reich illustrierten Band über Tibet, seine Geschichte, Religion und Kunst, ein Buch, das der Rezensent seinerzeit als umfassend, kenntnisreich und aktuell nur empfehlen konnte (Hirmer Verlag, München 2000). In seinem Vorwort schrieb der Dalai Lama damals von der Hoffnung, dass das Buch helfen möge, zu einem besseren und einfühlenden Verständnis der tibetischen Menschen und Traditionen zu gelangen und dass es Bemühungen anregen könnte, die Kultur Tibets vor dem endgültigen Verschwinden zu bewahren. Im Klappentext des soeben erschienenen Buches von Franz Binder lesen wir nun, dass die Kultur des tibetischen Buddhismus in Tibet für immer zerstört ist. Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Natürlich haben die chinesischen Usurpatoren, vor allem während der schrecklichen Kulturrevolution auch in Tibet unschätzbare kulturelle Werte zerstört und bemühen sich bis heute, tibetische Kunst und Kultur auf eine museale Kuriosität zu reduzieren. Und dennoch sind die Relikte des alten Tibet – und mögen es auch nur Bruchteile des ehemaligen Bestandes sein – mehr als eindrucksvoll, vor allem aber beeindruckt das tibetische Volk, das nun in der dritten Generation nach der so genannten Befreiung vom Imperialismus unbeirrt an seiner Nationalität, seinem Glauben und seiner kulturellen Tradition festhält. Binder tut diesen tapferen Menschen Unrecht, wenn er Ladakh und Zanskar neben Bhutan und einigen anderen Regionen des Himalaya als die letzten Enklaven tibetischer Kultur bezeichnet. Auch in Ladakh – und das wird von Franz Binder durchaus thematisiert – haben Straßenbau und Tourismus, technischer Fortschritt und Globalisierung zu einem Verlust vor allem innerer Werte gewachsener Kultur geführt, haben Arbeitslosigkeit, billige Massenware und die Jagd nach dem schnellen Dollar zu wesentlichen Veränderungen geführt. Das alte Ladakh – und das gilt ähnlich für Tibet – ist nur noch dort zu finden, wo keine Straßen hinführen und wo entlegene Dörfer nur auf langen Fußmärschen erreicht werden können. Und auch in den Klöstern und Tempeln von Ladakh, in denen in der Tat monastisches Leben ohne staatliche Bevormundung möglich ist, ist die Welt nicht mehr so ganz in Ordnung, denn es herrscht akuter Nachwuchsmangel. Dennoch: Ladakh ist eine Reise wert und das neue Buch von Franz Binder, großartig begleitet mit Fotos von Dieter Glogowski macht unbedingt Appetit auf eine solche Reise und es informiert kenntnisreich über Land und Leute und über Ladakhs Kultur und Geschichte. Da ist zunächst die einzigartige Landschaft, eine schroffe, vegetationslose Bergwüste mit dramatisch aufragenden Gipfeln und tiefen Abgründen, eine Szenerie, gleichsam von einem anderen Planeten und nicht zum Aufenthalt für Menschen gemacht. Und doch war das zwischen Himalaya und Karakorum gelegene Hochtal des Indus seit jeher ein wichtiger Handelsweg und Siedlungsraum und so finden sich auf Anhöhen und Felsspornen burgartige Klöster, schmiegen sich Dörfer mit kubischen Häusern an gewaltige Felswände und bilden von Gletscherbächen gespeiste, smaragdgrüne Felder einen überraschenden Kontrast zum Farbenspiel von Stein und Fels. Es sind nur zaghafte Spuren von Zivilisation und Kultur, ein einsames Kloster auf einer Anhöhe, einige Häuser am Rande einer Schlucht oder eine Gruppe von Stupas am Wegesrand, die die grandiose Bergwelt umso mächtiger erscheinen lassen. Religion und Kultur sind vom tibetischen Buddhismus geprägt und mit Alchi, Lamayuru und einigen anderen Tempeln und Klöstern haben sich bedeutende, mit Wandmalerei versehene Baudenkmäler aus der Frühzeit der sogenannten zweiten buddhistischen Bekehrung aus dem 11. bis zum 13. Jahrhundert erhalten. Und es ist wohl der Gewalt und Macht der umgebenden Natur zu danken, dass animistische Ideen und Bräuche in Ladakh mehr und intensiver als anderswo praktiziert werden. Geheimnisvolle Orakelfeste, Maskentänze und schamanistische Rituale sind in Ladakh an der Tagesordnung. Über all das und über das harte und naturnahe Leben der ladakhischen Bauern und Nomaden, über den spirituellen Tageslauf der Mönche und Nonnen in den Klöstern, über folkloristisches Brauchtum und Klosterfeste, über althergebrachte Naturheilkunst und über das Streuen von Sandmandalas berichtet Franz Binder in der Form von Briefen eines Reisenden an seinen Freund im fernen Europa. Das Leitmotiv dieser Reise und der Berichte ist die Suche nach dem Glück und die Antwort auf die Frage, was von einer dem Glück so nahen, einfachen und spirituellen Lebensform noch bleibt, wenn westliche Wertsysteme, Bedürfnisse und Lebensziele Einzug halten. Besieht man sich die wundervollen Fotos von Dieter Glogowski, vor allem die Portraits der Menschen aus Ladakh, so gewinnt man den Eindruck, dass dort in dieser Bergwüste das Glück wohl noch zu finden ist.

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