Anni Albers

Anni Albers

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Autor/en:        Ann Coxon, Briony Fer, Maria Müller-Scharek (Hrsg)

Verlag:           Hirmer Verlag

Erschienen:    München 2018.

Seiten:            192

Buchart:         Hardcover (offene Fadenheftung)

Preis:              € 39,90

ISBN:             978-3-7774-3104-8

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Besprechung:

 Eigentlich wollte Annelise Fleischmann (1899-1994) Malerin werden. Als sie schließlich vom Bauhaus in Weimar zum Studium angenommen wurde landete sie, nicht ganz freiwillig, in der nach damaliger Bauhaus-Tradition für Frauen noch am ehesten als geeignet angesehenen Textilwerkstatt. „Die Umstände hielten mich bei den Fäden fest, und diese überzeugten mich von sich“, schrieb sie später, als sie als Ehefrau des Bauhaus-Lehrers Josef Albers und als langjährige Schülerin von Paul Klee längst zu einer anerkannten und einflussreichen Pionierin textiler Kunst geworden war. Klees Einfluss, sein Umgang mit Form und Farbe ist in Anni Albers Werk stets sehr stark spürbar. Dennoch versuchte Anni Albers nie, ihre Webarbeiten der Malerei anzunähern oder diese gar mit anderen Mitteln zu imitieren; sie sah ihre Aufgabe darin, den besonderen Charakter der Handweberei, ihre Struktur und ihren Prozess zu nutzen, um textile Kunst im Stil der Avantgarde ihrer Zeit zu schaffen, einem internationalen, abstrakten Modernismus. Ihr Werk, Bildgewebe, Wandbehänge, Zeichnungen und Gouachen als Entwürfe für Stoffe und schließlich Druckgrafik als ihr Spätwerk befindet sich vorwiegend in amerikanischen Sammlungen und Museen insbesondere in der Josef and Anni Albers Foundation in Bethany, CT. In Deutschland und Europa wurde Anni Albers bisher nur unzureichend präsentiert und gewürdigt.

Mit der nun vorliegenden Monographie, zugleich Katalog zu einer Ausstellung in Düsseldorf (bis zum 09.09.2018) und in der Londoner Tate Modern (11.10.2018 bis 27.01.2019), ist diese Lücke geschlossen. Mit einem Dutzend Essays werden Leben und Werk umfassend vorgestellt. Die Zeit am Bauhaus, die hoch verehrten Lehrer Paul Klee und Wassilij Kandinsky, aber auch der streng einen gegenstandslos, konstruktivistischen Malstil vertretende Josef Albers, seit 1925 ihr Ehemann, prägten Anni Albers, vor allen aber war es die Arbeit am Handwebstuhl, die sie immer mehr faszinierte. Nichts vermag dies besser zu illustrieren als der Umstand, dass Anni Albers 1933 nach der zwangsweisen Schließung des Bauhauses und der Emigration des Ehepaars in die USA ihren Handwebstuhl mitnahm. Es war ihre Vision, mit den spezifischen und materialbedingten Möglichkeiten, die ihr die vielleicht älteste technologische Erfindung der Menschheit bot, eine eigene Form textiler Abstraktion zu entwickeln. In Anni Albers Händen wurde das Weben eine exemplarisch moderne Form der künstlerischen Teilhabe am Leben und ein Mittel, Werke zu schaffen, mit denen sich neue Lebensweisen zum Ausdruck bringen ließen, Werke, die die herkömmlichen Grenzen zwischen Handwerk und Kunst gegenstandslos machten.

In den USA arbeitete und lehrte Anni Albers zunächst am legendären Black Mountain College in North Carolina, ohne dessen Einfluss die abstrakte Moderne der USA nicht denkbar ist. Neben der auf dem Webstuhl entstandenen Kunst – Bildwerke und Wandbehänge – entwarf sie auch Textilien für die maschinelle Weberei, Vorhänge, Bezugsstoffe für Möbel, flexible Raumteiler, Textilien für die Architektur, unter anderem für die Möbelfirma Knoll International. Auch hier sah sich Anni Albers stets als Künstlerin. Für sie waren die Verfahren identisch, denn gleichgültig ob am Handwebstuhl oder auf einer modernen Webmaschine, immer geht es um das Verflechten von zwei unterschiedlichen Gruppen von Fäden im rechten Winkel und der Unterschied bestehe allein in der Geschwindigkeit. Anni Albers Originale und Entwürfe zeigen die Wandlungsfähigkeit des im Prinzip uralten Prozesses, die Möglichkeiten, ihn an unterschiedliche Bedürfnisse und Umstände anzupassen und künstlerische Kreativität eher zu fördern als zu beschränken. Anni Albers wurde so zur ersten Protagonistin moderner Webkunst schlechthin; ihre fundamentalen Erkenntnisse und Überlegungen hat mit dem 1965 erschienenen Buch „On Weaving“ dokumentiert, ein einzigartiges Kompendium der Webkunst, aus dem in der Monographie zahlreiche Aussagen zitiert werden

Das Buch über Anni Albers Leben und Werk zeigt nicht nur in der chronologischen Ordnung ihres Entstehens eine große Anzahl ihrer Webarbeiten, Zeichnungen, Entwürfe sowie der original- und druckgrafischen Werke, denen sie sich in den späten Dekaden ihrer künstlerischen Laufbahn gewidmet hat, sondern behandelt darüber hinaus einzelne Facetten im Leben dieser vielseitigen Künstlerin. So etwa die 1949 veranstaltete Ausstellung ihrer Kunst im New Yorker Museum of Modern Art, die erste je einer Textilkünstlerin gewidmete Werkschau dieses Museums, ihre bemerkenswerte und umfangreiche Sammlung historischer Textilien und Artefakte, hier vor allem aus Mittel- und Südamerika der präkolumbischen Zeit und schließlich Gedanken und Experimente, die eine Beziehung zwischen dem Weben und dem Phänomen der Schrift zum Gegenstand haben und die Anni Albers zu wunderbaren textilen Kalligraphien inspiriert haben. Hierzu gehört die wohl eindrucksvollste Webarbeit, die Anni Albers in den späten sechziger Jahren für das Jüdische Museum in New York zum Gedenken an den Holocaust geschaffen hat, sechs monumentale Gewebe, deren Palette dunkler Töne schlaglichtartig von silbernen Akzenten belebt wird, eine Abstraktion von Chaos und Dunkelheit aber auch von Hoffnung und Licht. Mit einem Ausblick auf die „Fiber Art“, eine textile Linie innerhalb der zeitgenössischen Kunstpraxis, die ohne Werk und Wirkung von Anni Abers nicht denkbar ist, klingt das Buch aus.

 

 

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