Japan in miniature – A Gift of Inro, Ojime and Netsuke

Japan in miniature – A Gift of Inro, Ojime and Netsuke

 Autor/en:        Heinz und Else Kress

Verlag:           Hirmer Verlag

Erschienen:    München 2018

Seiten:            232

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 39,90

ISBN:             978-3-7774-3143-7

 

Kommentar:  Michael Buddeberg

„Flowers picked at the Roadside“ – Blumen vom Wegesrand – war der Titel eines 1917 von Baron Takei Morimasa (1842-1926) veröffentlichten Kataloges, mit dem er 1200 Exemplare seiner Sammlung von fast 3000 Inros publizierte. Baron Takei verstand sich nicht als Sammler, sondern als Retter einer japanischen Kunstform, die komplett aus der Mode gekommen war. Ausgelöst hatte diese Rettungsaktion ein Erlebnis in Tokio: Er hatte mit Entsetzen beobachtet, wie ein Händler diese Lackobjekte verbrannte, um die winzigen Mengen des mit dem Lack verarbeiteten Goldes zurückzugewinnen. Und nun ist ein aus den Rettungsaktionen von Baron Takei stammendes Inro als Bestandteil einer Sammlung von 80 dieser Inros, fast alle komplett mit Ojime und Netsuke, als Geschenk an das Museum für Lackkunst in Münster gelangt und wurde in dem von Heinz und Else Kress verfassten Katalog dieser Sammlung mit einem ausführlichen und illustrierten Hinweis auf diese bemerkenswerte Provenienz publiziert

Ein Inrō besteht üblicherweise aus drei bis fünf ovalen, übereinander gestapelten Behältnissen, deren oberstes mit einem Deckel verschlossen ist. An einer Kordel geführt bilden sie ein bis zu 10 cm hohes Set, das durch einen auf der Kordel verschiebbaren Knopf, das Ojime, zusammengehalten wird. Am anderen Ende der Kordel dient ein kleiner Knebel, das Netsuke, dazu, dass das am Gürtel, dem Obi, eingehängte Inro nicht ungewollt herausrutscht. Dieses Set aus Inro, Ojime und Netsuke entwickelte sich seit dem 17. Jahrhundert zu einem unentbehrlichen Bestandteil des taschenlosen Männer-Kimono, um notwendige Utensilien wie ein Siegel, Medizin, Münzen oder auch Tabak stets zur Hand zu haben. Ihren Höhepunkt erlebten diese Accessoires der japanischen Männermode im 18. und 19. Jahrhundert, als ganze Generationen von Kunsthandwerkern und Künstlern damit beschäftigt waren, die immense Nachfrage zu befriedigen. Nach der Öffnung Japans und der Übernahme westlicher Bräuche, setzte sich Ende des 19. Jahrhunderts westliche Kleidung, jedenfalls bei den japanischen Männern, so gut wie vollständig durch; die zuvor geliebten Accessoires wurden überflüssig, galten als unmodern und wurden wertlos.

Doch es dauerte nicht lange – die grassierende Japanmode tat das ihrige hinzu – und Inro und Netsuke entwickelten sich vor allem in USA und Europa zum beliebten Sammelobjekt und sind es bis heute geblieben. Während das Netsuke fast immer eine dreidimensionale Kleinplastik ist, sind Inrō Träger zweidimensionaler Kunst auf einer durch den Zweck bestimmten, kleinen Fläche. Und diese hochrechteckige, gelegentlich auch abgerundete Fläche ist nicht nur ein Tummelplatz unterschiedlicher Materialien und kunsthandwerklicher Techniken, wobei Lackarbeiten – neben Keramik, Holz und Bambus – bei weitem im Vordergrund stehen, sondern ein Panoptikum japanischer Motive. Natürlich finden wir auf Inrōs Ansichten des Fuji und japanische Landschaften. Vor allem aber sind Inrō eine schier unerschöpfliche Quelle für japanische Symbolik, Mythologie und Alltagskultur. In der hier präsentierten Sammlung dominieren Darstellungen von Tieren, Pflanzen und Blumen neben Szenen aus der japanischen Literatur, Teetrinkern, Flötenspielern, Gelehrten, spielenden Knaben oder einem Affendompteur.

Die Besonderheit des vorliegenden Kataloges ist nicht nur die durchweg hohe ästhetische und künstlerische Qualität der Inros, nicht der Umstand, dass fast alle Objekte vollständige Sets von Inro, Ojime und Netsuke sind – manche davon sogar als solche gefertigt – und auch nicht die herausragende  Illustration – sämtliche Inro sind mit Vorder- und Rückseite in natürlicher Größe sowie in seitengroßer Darstellung und darüber hinaus mit zusätzlichen, dekorativen Detailvergrößerungen abgebildet -; es sind vor allem die begleitenden Texte, die genauen Beschreibungen und die lebendigen Kommentare, die den Katalog zu einem wichtigen Dokument japanischer Kleinkunst machen. Das Autorenteam, das Ehepaar Else und Heinz Kress hat in jahrzehntelanger Sammelleidenschaft nicht nur eine außergewöhnliche Sammlung japanischer Inros zusammengetragen sondern auch eine beispiellose Bibliothek japanischer Lackkunst und vor allem ein Archiv geschaffen, das den weltweit in öffentlichen sowie in bekannten und zugänglichen privaten Sammlungen vorhandenen Bestand an Inros mit Beschreibungen und Abbildungen erfasst. Die Autoren konnten daher im echten Wortsinn aus dem Vollen schöpfen, Vergleichsobjekte auch aus entlegenen oder kaum bekannten Quellen abbilden, Vorlagen aus Literatur und graphischer Kunst auffinden und zu jedem Sujet die mythische, spirituelle oder auch ganz profane Hintergrundgeschichte erzählen. So gewähren die achtzig Inros dieser Sammlung nicht nur einen Blick auf die Vielfalt und Schönheit dieses exklusiven Sammelgebietes, sondern auch einen tiefen Einblick in die einst so verschlossene Welt Japans zur Edo-Zeit.

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