Er ging voraus nach Lhasa – Peter Aufschnaiter – Die Biographie

Er ging voraus nach Lhasa – Peter Aufschnaiter – Die Biographie

Autor/en:        Nicholas Mailänder

Verlag:           Tyrolia-Verlag

Erschienen:    Innsbruck Wien 2019

Seiten:            414

Buchart:         Hardcover mit Schutzumschlag

Preis:              € 29,95

ISBN:            978-3-7022-3693-9

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Es ist nicht schwer zu erraten, wem Peter Aufschnaiter nach Lhasa vorausging. Der Titel der Aufschnaiter-Biographie nimmt erkennbar Bezug auf seinen prominenten Bergkameraden Heinrich Harrer. Die abenteuerliche Geschichte der gemeinsamen Flucht aus dem britischen Internierunglager Dehra Dun in Indien über den Himalaya und durch das tibetische Hochland nach Lhasa ist aus Harrers Weltbestseller „Sieben Jahre in Tibet“ und vielleicht noch mehr aus dem gleichnamigen Hollywood-Blockbuster mit Brad Pitt in der Rolle Harrers hinlänglich bekannt. Jedenfalls aus dem Film erfuhr man bereits, dass die beiden ein sehr ungleiches Paar waren. Aufschnaiter war nicht nur 13 Jahre älter, hatte eine abgeschlossene Ausbildung als Landwirt, Himalaya-Erfahrung aus zwei Kangchenjunga-Expeditionen, war Leiter der Deutschen Himalaya-Stiftung und hatte schon als Student aus Neigung die tibetische Sprache erlernt. Heinrich Harrer hatte außer der 1938 im Team mit den erfahrenen Bergsteigern Anderl Heckmair, Fritz Kasparek und Ludwig Vörg sensationellen Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand und einem brennenden Ehrgeiz zum Gelingen der spektakulären, 21 Monate währenden Flucht nicht viel beizutragen. Aus den nun in der Aufschnaiter-Biographie überwiegend im Wortlaut zitierten Tagebuchaufzeichnungen Aufschnaiters wird klar, dass es dessen Tibet-Begeisterung, sein unbeugsamer Wille und sein stoischer Optimismus waren, die die von den Tibetern und vor allem von der mörderischen Umwelt ausgehenden Gefahren zu überwinden halfen und das ungleiche Team schließlich Lhasa erreichen ließen.

 

Die von dem Bergsteiger und Alpinhistoriker Nicholas Mailänder herausgegebene und die originalen, aus der Gabelsberger-Stenographie durch den Aufschnaiter-Forscher Otto Kompatscher transkribierten Tagebuchaufzeichnungen Aufschnaiters behutsam ergänzende Biographie ist nicht nur als eine späte Korrektur des Harrerschen Berichts zu begrüßen, sondern vor allem als eine Hommage an ein fast im Verborgenen geführtes und stets der Leidenschaft und Liebe für den Himalaya und vor allem für Tibet und den Tibetern gewidmetes Leben. 1899 in der verarmten Bergarbeiterstadt Kitzbühel geboren erlebt er den Beginn des Wintertourismus, ist ein hervorragender und sprachbegabter Schüler und Student, zeichnet sich als Bergsteiger in dem den Nationalsozialisten nahe stehenden Akademischen Alpenverein München aus und wird 1933 Mitglied der NSDAP. 1929 und 1931 ist er Mitglied der von Paul Bauer geführten Kangchenjunga-Expeditionen, erlebt als Geschäftsführer der Deutschen Himalayastiftung die Katastrophe am Deutschen Schicksalsberg, dem Nanga Parbat, und ist 1939 bei einer erneuten Erkundung erfolgversprechender Routen am Nanga Parbat mit dabei. Während des Rückwegs beginnt der zweite Weltkrieg, die Deutschen werden interniert und es beginnen fünf Jahre hinter dem Stacheldraht des britischen Internierungslagers Dehra-Dun. Aufschnaiter vergräbt sich in Büchern, zeichnet Karten von Tibet, verbessert seine tibetischen Sprachkenntnisse und sinnt auf Flucht, die ihm zusammen mit vier weiteren Gefangenen, darunter Heinrich Harrer, schließlich im April 1944 gelingt. Die abenteuerlichen und unter vielfacher Lebensgefahr gemeisterten 21 Monate bis zur Ankunft in Lhasa bilden einen wesentlichen Bestandteil von Aufschnaiters Biographie, über die er später schreibt: „… alles, was Changtang ist, hat eine Anziehungskraft wie sonst nichts auf der Welt“.

 

In Lhasa sind es die Initiative, Tatkraft und Kenntnisse von Aufschnaiter, die den beiden Österreichern gegen den massiven Widerstand der Briten das Wohlwollen der Tibeter und schließlich eine staatliche Anstellung verschaffen. Aufschnaiter betätigt sich als Bewässerungsingenieur, Planer eines Elektrizitätswerks, zeichnet einen Stadtplan von Lhasa und macht archäologische Entdeckungen, während Mao Zedong die Befreiung Tibets von den westlichen Imperialisten ankündigt. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Tibet flieht der Dalai Lama im Dezember 1950 nach Indien, Heinrich Harrer folgt ihm und auch Aufschnaiter verlässt Lhasa, bleibt jedoch noch über ein Jahr in Tibet, bevor er Kathmandu erreicht. Er  bezeichnet diese Zeit in Südtibet als den Höhepunkt dieser acht Jahre: „Nie wieder werde ich ein Land und seine Menschen so mögen, wie ich Tibet gemocht habe“.

 

In Nepal gerät Aufschnaiter zunächst in die Mühlen politischer Rangelei zwischen Nepal und Indien, versteht es aber, seine Kenntnisse der Grenzregionen von Nepal und Tibet als Kartograph und schließlich als Entwicklungshelfer der FAO (Food Administration Organization) der UNO einzusetzen. Er bleibt nach vorübergehender Tätigkeit für die indische Armee in Nepal, wird 1967 nepalischer Staatsbürger und erhält wenige Jahre später, 1972, diesmal nicht qua Geburt, sondern als „Persönlichkeit der Zeitgeschichte“ erneut die österreichische Staatsbürgerschaft. Er stirbt 1973 in Innsbruck und ist in Kitzbühel begraben.

 

Auf dringenden Rat von Freunden hatte Aufschnaiter 1973 begonnen, seine Lebenserinnerungen zu schreiben. Sie wurden posthum 1983 von dem Tibetologen Martin Brauen unter dem Titel „Peter Aufschnaiter – Sein Leben in Tibet“ herausgegeben. Sie enden mit Aufschnaiters Ankunft in Kathmandu. Nicht nur weil dieses Buch längst vergriffen und auch im Antiquariatsbuchhandel kaum – und wenn, dann nur für teures Geld – noch auftaucht, ist Mailänders Biographie eine Pflichtlektüre für jeden, der „Sieben Jahre in Tibet“ gelesen hat. Während diese sieben Jahre bei Heinrich Harrer den Lebensentwurf eines autodidaktischen Expeditions- und Forschungsreisenden auslösten, wurden sie für Peter Aufschnaiter zum Lebensinhalt, den er introvertiert, zutiefst bescheiden aber konsequent und selbstbewusst gelebt hat. Beide, Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer, haben sehr viel für Tibet getan, aber auf ganz und gar unterschiedliche Art und Weise.

 

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