Natur und Landschaft – Der Einfluss von Athanasius Kirchers „China Illustrata“ auf die europäische Kunst

Natur und Landschaft – Der Einfluss von Athanasius Kirchers „China Illustrata“ auf die europäische Kunst

Autor/en:        Sheng-Ching Chang

Verlag:           Reimer Verlag

Erschienen:    Berlin 2003

Seiten:            272

Buchart:         Broschur

Preis:              € 44,00

ISBN:             3-496-01280-3

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Athanasius Kircher (1602-1680) war einer der populärsten Gelehrten der damaligen Welt. In einem Dorf nahe Fulda geboren trat er dem Orden der Jesuiten bei und wurde schon in jungen Jahren von Papst Urban VIII nach Rom an das Collegium Romanum berufen, wo er bis zu seinem Tode forschte und lehrte. Kircher hat in dieser Zeit Dutzende Monographien publiziert, die sich mit Mathematik, Medizin, Logik, Geologie, Astronomie, Musik, Mechanik, Optik, Farbenlehre, Akustik, Sprachen, fremden Ländern und noch manch anderen Wissensgebieten befassten und die ihm den Ruf als des vielleicht bedeutendsten Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts eintrugen. Heute mag man das differenzierter beurteilen und der italienische Philosoph und Schriftsteller Umberto Eco sah das Faszinosum Kirchers weniger in seiner Gelehrsamkeit als in der Menge der Irrtümer, die er beging, verführt von seiner Neugier und von seinen richtigen Intuitionen aus falschen Gründen. Das Faszinierendste an den Büchern Kirchers, meinte Eco in einer Kolumne aus dem Jahre 1986, sind ihre Illustrationen, ein Fest für die Augen, phantastische Zoologien, exotische Pflanzen, Wunder des Fernen Ostens und vieles Andere und Erstaunliche mehr, das der bildkräftige Visionär in Kupfer stechen ließ.

Sein vielleicht berühmtestes und jedenfalls nach seinem Erscheinen in lateinischer Sprache in Amsterdam im Jahre 1667 äußerst populäres Werk war ein Foliant, der das Wissen jener Zeit über China enzyklopädisch zusammenfasste. Unter China verstand man damals ein fernes und exotisches Weltreich, das auch Indien, Tibet und Japan einschloss. Für Kircher war und blieb dieses geheimnisvolle Land das Traumziel seines Lebens; sein sehnlicher Wunsch, als Missionar dorthin geschickt zu werden wurde nie erfüllt. Am Collegium Romanum konnte Kircher indessen die Berichte der bedeutendsten Chinareisenden seiner Zeit, vor allem aber die seiner wissenschaftlich ausgebildeten und in China missionierenden Ordensbrüder auswerten und damit ein für jene Zeit relativ realistisches Bild dieser fernen Weltregion vermitteln. Und ganz gewiss waren es die sechzig großformatigen und detailreichen Illustrationen, die das mit seinem Kurztitel „China Illustrata“ bezeichnete Buch zu einem Bestseller jener Zeit werden ließen, welcher nicht nur zum Gegenstand von Übersetzungen in lebende Sprachen sondern auch von Raubdrucken wurde.

Auch die im Rahmen ihrer Promotion an der Humboldt-Universität in Berlin vertretene These, dass Kirchers „China Illustrata“ wesentlichen Einfluss auf die europäische Kunst genommen hat, wird von der taiwanesischen Kunsthistorikerin Shang-Ching Chang in erster Linie mit den Gegenständen und den besonderen Qualitäten der Illustrationen Kirchers begründet. Zwar lässt Kircher so gut wie keine Facette der chinesischen Kultur aus und  behandelt unter anderem Architektur, Astronomie, Medizin, Politik, Sprache, Schriftzeichen und Religion, doch bei den Illustrationen dominieren die Natur, die Pflanzen- und die Tierwelt, die Kircher in einem ganz eigenen, neuartigen Illustrationsstil präsentiert. Seine Bilder sind meist eine Kombination mehrerer unterschiedlicher Formen von Tieren, Pflanzen oder Gegenständen, oft auch in Verbindung mit Personen und mit Architektur, die sich unabhängig von den sie konstituierenden Elementen zu neuen Formen und Motiven formen, zu einem neuen Ganzen. Die Autorin nennt sie Komposit- oder eine Art Zufallsbilder. Kircher präsentiert China in seinem Text als ein Land mit hohem kulturellen und zivilisatorischen Standard – der Einfluss des Christentums durch die Nestorianer soll hier ein wichtiger Faktor gewesen sein – und in den Illustrationen als einen Ort einer poetischen Naturwelt, mit Bergen, Pflanzen und Tieren, die durch die Natur als Kunstwerke geformt wurden. Die ungewöhnliche oder „zufällige“ Komposition seiner Bilder, ihre Unregelmäßigkeit, Asymmetrie und Unvollkommenheit ist nicht nur Blickfang für eine faszinierende Exotik, sondern auch eine neue ästhetische  Kategorie und damit – so die These der Autorin – ein wesentlicher Beitrag für die aufkommende Mode der Chinoiserie, für den Stil des Rokoko, für die Architektur und die Garten- und Landschaftsgestaltung.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Belege für die Behauptung, dass Kirchers Werk die Entwicklung der europäischen Kunst entscheidend mitgeprägt hat, bleiben dann doch sehr vereinzelt. Das chinesische Teehaus im Park von Sanssouci, mehr als einhundert Jahre nach Erscheinen von China Illustrata erbaut, mag in manchen Details tatsächlich von Kirchers Darstellungen beeinflusst sein, während chinoise Dekore der Pagodenburg im Nymphenburger Park und Naturdarstellungen in den Werken von Francois Boucher, Philipp Otto Runge oder gar William Turner nur schwerlich mit Kirchers Illustrationen in Verbindung zu bringen sind. Chinoiserie, Rokoko und die Hinwendung zur Natur sind Früchte des Zeitgeistes, der Kunst, Wissenschaft und Lebensart im 17. und 18. Jahrhundert zu neuen Ufern aufbrechen ließ. Der Versuch der Autorin, eine gewagte These zu vertreten, ist gleichwohl ein Lesevergnügen, wobei die sprachlich meisterhaften, detaillierten und kommentierenden Beschreibungen von Kirchers Illustrationen darüber hinwegtrösten, dass diese in dem Buch nur in stark verkleinerter Form wiedergegeben werden konnten. So folge der Leser dieser Studie also dem Rat von Umberto Eco, Kirchers Original in einer großen Bibliothek durchzublättern.

 

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