Buddhist Ritual Art of Tibet – A Handbook on Ceremonial Objects and Ritual Furnishings in the Tibetan Temple

Buddhist Ritual Art of Tibet – A Handbook on Ceremonial Objects and Ritual Furnishings in the Tibetan Temple

Autor/en:        Michael Henss

Verlag:           Arnoldsche Publishers

Erschienen:    Stuttgart 2020

Seiten:            456

Buchart:         Hardcover

Preis:              € 78,00

ISBN:             978-3-89790-567-2

Kommentar:  Michael Buddeberg

 

Es war wohl ein wenig voreilig 2014 an dieser Stelle das fast 900 Seiten und weit über 1200 Abbildungen umfassende zweibändige Werk von Michael Henss über die „Cultural Monuments of Tibet“ als sein Opus Magnum zu bezeichnen. Wer konnte schon ahnen, dass Neugier und Forschungsdrang des Autors keine Ruhe geben würden, nach den architektonischen Monumenten und ihrer Ausstattung mit Skulptur und Malerei auch den weiteren, kaum überschaubaren Inhalt tibetischer Tempel vorzustellen und die einzelnen Objekte über ihre kunsthandwerkliche Erscheinung hinaus zu entschlüsseln. Rituelles Gerät und seine Bedeutung für die buddhistische, im Besonderen für die tantrische Praxis ist ein bisher nur wenig erforschtes Gebiet tibetischer religiöser Kultur. Wie der Gebrauch dieser Objekte rituelle Handlungen unterstützt und so Einfluss auf geistige Prozesse nehmen kann, gilt vielfach als geheimes Wissen, ist in der Regel schriftlich nicht aufgezeichnet und ist für den nicht Eingeweihten nicht nur schwer zugänglich, sondern auch schwer verständlich. Dass Michael Henss mit Buddhist Ritual Art of Tibet  das erste systematische Referenzwerk für den großen Korpus tibetischer Zeremonialobjekte und ihren rituellen Kontext vorgelegt hat, kann nicht genug bewundert werden. So ist es denn des Opus Magnum zweiter Teil.

Eine tour de force durch die 18 Kapitel mag die schier unglaubliche Fülle des Gebotenen verdeutlichen. Es beginnt mit Vajra und Ganta – Donnerkeil und Glocke –, die zu den wohl bekanntesten Ritualgegenständen des tibetischen Buddhismus gehören. Hier, wie bei allen folgenden Objekten, werden Ursprung, Gebrauch, Bedeutung und schließlich auch die stilistische Entwicklung beschrieben. Es folgen die acht glückbringenden Symbole bevor mit dem flammenden Juwel und dem Cintamani als Synonym für die Trinität von Buddha, Darma und Sangha die häufige Doppelfunktion als Ritualgerät und Altareinrichtung beschrieben wird. Auch der Stupa hat – jenseits seiner architektonischen Erscheinung – in all seinen Größen als ein nichtfigürliches Abbild Buddhas Funktionen sowohl in Ritual und Zeremonie wie auch als kostbares Altarinventar. Dreidimensionale Mandalas schließlich erscheinen in vielfältiger Form vom handlichen Kornmandala bis zum gewaltigen Palast-Mandala, wie sie etwa im Potala oder im Palkhor Chöde in Gyantse bewundert werden können. Mandalas aus Cloisonné stehen für tibeto-chinesische Objekte, vornehmlich aus der Zeit der Ming-Dynastie, während die Lotus-Mandalas, deren sich öffnende Blütenblätter den Pantheon der Cakrasamvara- oder der Hevajra-Rituale offenbaren und gewissermaßen als Königsdisziplin aller Mandalas gelten. Mit allerlei Opfervasen und Gefäßen für die rituelle Aufbewahrung von Opfergaben, hier sind auch die Butterlampen in ihrer vielfältigen Erscheinungsform zu finden, befasst sich das sechste Kapitel. Tormas aus Tsampa, bemalt oder verziert mit bunten Butterelementen leiten über zu den monumentalen Butterskulpturen und den damit verbundenen Festtagsritualen. Gebetsmühlen schließlich sind als Handgerät unentbehrliches Requisit nicht nur für Pilger sondern für jeden gläubigen Tibeter, säumen die Mauern von Tempeln und anderen Kultstätten und fordern in ihrer größten Erscheinungsform eigens für sie errichtete Gebäude. Es folgt der geheimnisvolle Bereich ritueller, magischer Waffen, deren konkreter zeremonialer Gebrauch in der Regel tantrischer Geheimhaltung unterliegt. Das bekannteste dieser Gerätschaften ist der Phurbu, eine magisch rituelle Waffe gegen jeglichen bösen Einfluss, die aus Metall oder Holz in verschiedenen Größen und Formen den Anhägern des Buddhismus ebenso dienlich ist, wie den Bön. Weitere tantrische Geräte sind rituale Szepter, Hämmer, Äxte und Haken, Messer, Schwerter und Speerspitzen, die fast durchweg als Belegstücke für die Meisterschaft tibetischer Metallbearbeitungskunst auffallen. Geisterfallen und Spiegel dienen als natürliche Hindernisse für das Böse, gehören aber auch zu den wichtigsten Ausstattungsgegenständen der Orakelpriester. Kapalas, Opferschalen aus den Schädeln verstorbener Mönche und anderer hochrangiger Geistlicher, gefasst, bemalt oder beschriftet und oft aufwendig mit Aufnahme und Deckel versehen gehören zu den  bedeutungsvollsten Rirtualgenständen tantrischer Praxis, während Schmuck aus Knochen, vor allem die Knochenschürzen ebenso wie allerlei Masken zum Kostüm zorniger Gottheiten der jährlichen Cham-Tänze gehören. Es folgen in mehreren abschließenden Kapiteln die für buddhistische Zeremonien gebrauchten typischen Musikinstrumente, die Einrichtung von Kloster und Tempel mit rituellen Möbeln aller Art und das große Thema der textilen Ausstattung mit Tempelbannern, Behängen, Altar- und Throndecken, Baldachinen, Deckenverkleidungen bis hin zu Teppichen für tantrische Rituale, bevor mit Amuletten, Reliquienkästchen und Thogchaks aber auch mit Tsa-Tsas aus Ton, mit Gottheiten bemalten Karten – den Tsakali – und hölzernen Modeln für Teigfiguren Ritualgegenstände für „jedermann“ den Ausklang bilden.

Alle diese Objekte, vom vergoldeten Lotus-Mandala bis zum Tsa-Tsa aus getrocknetem Lehm definieren und strukturieren das tägliche spirituelle Leben des gläubigen Tibeters. Die Rituale und ihre Objekte sind Hilfen in der Kommunikation mit den Göttern, schaffen eine Brücke zwischen der realen und der transzendenten Welt und verschaffen dem Eingeweihten auf seinem Weg zur Erleuchtung neben dem profanen Nutzen wie Gesundheit, Wohlergehen und Reichtum vor allem spirituellen Verdienst, Erkenntnis und geistige Befreiung. Michael Henss´ Buch ist ein erster und wichtiger Versuch, über die Zeremonialobjekte und die Ausstattung tibetischer Tempel und Kultstätten einen Zugang zum Mahayana-Buddhismus tantrischer Prägung, wie er für Tibet typisch ist, zu vermitteln – ein Handbuch, das für den Nicht-Eingeweihten, den Laien, den oft schwer fassbaren geistigen Hintergrund von Ritualen durch die für sie verwendeten Hilfsmittel verständlich machen kann.

Es sind (nicht nachgezählte) 600 Objekte aus „verborgenen Schreinen und öffentlichen und privaten Sammlungen“ deren Abbildungen und Beschreibungen Michael Henss publiziert. In dieser von Provenienz- und Restitutionsdebatten geprägten Zeit sollte die Herkunft der Objekte, die künstlerisch und kunsthandwerklich jeweils dem „high end“ ihrer Gattung zuzurechnen sind, natürlich ein Thema sein. Nach den knappen Hinweisen stammen einige aus chinesischen Museen in Beijing und Taipeh oder wurden in chinesischen Werken publiziert. Sehr viele befinden sich in nicht näher bezeichneten privaten westlichen Sammlungen oder in namhaften Museen der westlichen Welt, etwa dem Musée Guimet, dem Victoria & Albert oder dem Metropolitan Museum of Art. Mehr als einhundert der Objekte, allesamt Meisterwerke mit großer ritueller, historischer und künstlerischer Bedeutung stammen aus der Sammlung einer niederländischen Familie und sind heute im Eigentum der in Den Haag beheimateten Bodhimanda Stiftung, über die man gerne etwas mehr erfahren hätte. Von fast ebensolcher Qualität und Bedeutung ist der mit Abstand größte Teil des publizierten Materials, das in den zurückliegenden Jahren vom internationalen Handel und von den großen Auktionshäusern dieser Welt angeboten wurde. Wann und wie haben diese Kunstwerke Tibet verlassen?

Diese Frage schmälert nicht die großartige Leistung von Michael Henss und die Bedeutung und Wichtigkeit seines Buches. Doch darf man über all dem nicht vergessen, dass das Überleben der  tibetischen Kultur, insbesondere ihres materiellen Ausdrucks, wie er ganz besonders in den zeremonialen Objekten zum Ausdruck kommt, schwer gefährdet ist. Es ist das offensichtliche Ziel chinesischer Politik, die tibetische Kultur in all ihren Aspekten zu einem musealen Bestandteil chinesischer Geschichte herabzustufen.

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