Tibetan Silver, Gold and Bronze – Objects and the Aesthetics of Animals in the Era before Empire

Tibetan Silver, Gold and Bronze – Objects and the Aesthetics of Animals in the Era before Empire

 

Autor/en:       John Vincent Bellezza

Verlag:           BAR Publishing

Erschienen:    Oxford 2020

Seiten:            170

Buchart:         Broschur

Preis:              GBP 46,00

ISBN:             978-1-4073-5431-6

Kommentar und Fotos von 1975:  Michael Buddeberg

 

Unsere Begegnung mit John ist unvergesslich. Es war im Herbst 1997 und wir hatten unsere Zelte am Südost-Ufer des Nam Tso aufgeschlagen. Es war der Anfang unserer Erkundung eines kleinen Teils des Changtang, der sich über den ganzen Norden Tibets erstreckenden Hochgebirgsregion mit unendlichen und so gut wie unbewohnten und von unbenannten  Gebirgsketten durchzogenen Ebenen. Den Platz kannten wir von früheren Reisen. Es war eine nur von tibetischen Pilgern besuchte Halbinsel mit einem kleinen, in die Felsen gebauten Nonnenkloster in einer überirdisch schönen Landschaft – für Tibeter ein heiliger Ort und auch für uns ein Platz mit starker spiritueller Ausstrahlung. Unweit unseres Camps hatte John Bellezza sein kleines Zelt aufgeschlagen und es ergab sich ganz von selbst, dass wir mit ihm einen anregenden Abend in unserem Küchenzelt erlebten. John erzählte von seinen Wanderungen durch den Changtang, den erstaunlichen Entdeckungen, die er dort machte, dem überlieferten Wissen der von ihm befragten tibetischen Nomaden und den faszinierenden prähistorischen Felszeichnungen. Am nächsten Morgen führte er uns „gleich um die Ecke“ zu einer kleinen Felshöhle mit geheimnisvollen Petroglyphen. John bat uns dann, ihn einige Kilometer in unserem Landcruiser mitzunehmen. Irgendwo im nowhere, sah er dann seinen Weg. Er schulterte den 80-kg-Rucksack und startete mit seinem Wanderstab nach Westen. Nur wenig später kreuzte ein Wolf unsere Piste. Er war in der gleichen Richtung unterwegs wie John.

 

Mit einem Paukenschlag betrat Tibet um das Jahr 600 n.Chr. die Bühne der Weltgeschichte. Songtsen Gampo, der erste historische König Tibets gab seiner Nation in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts mit der Einführung einer modernen Schrift ein Geschichtsbewusstsein, mit seinen Frauen aus chinesischem und nepalischem Königsgeblüt den Buddhismus als Religion und er machte Tibet binnen weniger Jahrzehnte zu einem politischen und militärischen Machtfaktor in Zentralasien. Doch was war vorher, in Tibets prähistorischer Zeit? Kein Vakuum natürlich, aber eine Epoche, die nur durch Mythen und Sagen definiert ist und durch eine legendäre Abfolge von Dynastien von Königen, die einst als Götter vom Himmel herabstiegen und die sich jeder historischen Zuordnung entzieht. War das sagenhafte Königreich Zhang Zhung im westlichen Himalaya und seine geheimnisvolle Bön-Religion und Kultur der Vorläufer Tibets und des Lamaismus?

John Vincent Bellezza, Archäologe und Kulturhistoriker, ist der erste Wissenschaftler, der sich seit nunmehr mehr als dreißig Jahren auf das vorbuddhistische Erbe Tibets und des westlichen Himalaya konzentriert. Seine Leistung als Wissenschaftler und praktizierender Feldforscher ist grandios und auf seiner Website www.tibetarchaelogy.com nachzulesen. John Bellezza hat das westtibetische Hochland mit dem Kraftfahrzeug, auf dem Rücken von Pferden, vor allem aber in vielen monatelangen Fußmärschen mit einem weit über 100.000 Kilometer reichenden Netz von Forschungsreisen überzogen; er hat dabei hunderte antike Stätten entdeckt, Bergfestungen, unterirdische Tempel, Nekropolen, Steinsetzungen und ungezählte Felsmalereien. Damit und mit dem Studium alter tibetischer Texte, archaischer Rituale und der Auswertung von überlieferten Erzählungen und Mythen hat John Bellezza ein neues Forschungsgebiet erschlossen und in zahlreichen Büchern und Aufsätzen publik gemacht.

John Bellezzas neuestes Buch, erschienen im renommierten archäologischen Fachverlag BAR Publishing, befasst sich mit ausgewählten Objekten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit der materiellen Kultur des prähistorischen, eisenzeitlichen Tibet zuzurechnen sind. Den Auftakt machen zwei nach Form und Alter einzigartige Silberschalen aus der Sammlung von Jeremy Pine, die mit Löwendarstellungen und weiteren geometrischen Motiven verziert sind. Ebenfalls aus der Sammlung von Jeremy Pine stammt ein massiv goldenes Zierstück mit vollplastischen Tierdarstellungen, dessen Zweck nicht erkennbar ist, bevor Kupfer- und Bronzegefäße  mit  entenähnlichen Handhaben bzw. Ausgüssen den Reigen abschließen. In außerordentlicher wissenschaftlicher Tiefe und Gründlichkeit stellt der Autor Vergleiche mit verwandten Objekten aus Museen, Auktionen und privaten Sammlungen an und findet Bezüge zu Kulturen, die – im weitesten Sinne – an das prähistorische Tibet angrenzten. Achämeniden, Sassaniden, Baktrier, Saken und Skythen, diese frühen Völker können hier nur als Stichworte erwähnt werden und als mögliche Hinweise auf eine kosmopolitische Struktur auch des prähistorischen Tibet und eine weit intensivere Kommunikation unter den eurasischen Völkern als bisher angenommen. Eine wesentliche Rolle spielen hierbei auch die „Thokchas“ genannten tibetischen Amulette, kleine Ornamente, Figuren und Tiere, deren Legierung und Alter oft schwer oder gar nicht zu bestimmen ist und die nach der Überzeugung der Tibeter vor unvordenklicher Zeit als Gaben der Götter vom Himmel gefallen sind. Diese Thokchas und vor allem die von Bellezza auf seinen Forschungsreisen dokumentierten ortsfesten Felszeichnungen interpretiert er als Ausprägungen und Varianten des omnipräsenten zentralasiatischen Tierstils, eine Art künstlerischer Zeitgeist Eurasiens, der über Jahrhunderte bestimmend war und mit Gewissheit auch die prähistorische materielle Kultur auf dem tibetischen Plateau geprägt hat. Die durch Artefakte und archäologische Spuren belegte Einbindung des prähistorischen Tibet in einen größeren zentralasiatischen Kulturraum ist der große Verdienst von John Bellezza.

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