Kimono Meisen – The Karun Thakar Collection

Kimono Meisen – The Karun Thakar Collection
Autor/en: Anna Jackson, Karun Thakar
Verlag: Arnoldsche Art Publishers
Erschienen: Stuttgart 2015
Seiten: 208
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 49,80
ISBN: 978-3-89700-418-7
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2015
 
Es ist gewiss kein Zufall, dass etwas so Alltägliches wie das Binden eines Blumenstraußes in Japan seit jeher als Kunstform angesehen und gelehrt wird. Ikebana, die Kunst des Blumenarrangements gehorcht in Aufbau, Rhythmik und Farbe nicht nur bestimmten Regeln der Harmonie und Ästhetik, sondern verlangt eine fast meditative Konzentration auf den Symbolcharakter des von der Natur zur Verfügung gestellten Materials. Was sind nun die Wurzeln für die spezifisch japanische Kunst, Gegenstände des täglichen Gebrauchs formschön zu gestalten, woher kommt der Sinn der Japaner für Schönheit und Design? Sicher ist, dass eine Kombination verschiedener Einflüsse und Gegebenheiten zu diesem besonderen japanischen Talent geführt hat. Die Liebe des Schwertadels zu Pracht und Selbstdarstellung hat das dekorative Element beigetragen, während die ästhetischen Prinzipien des Zen als der puristischen japanischen Form des Buddhismus, wie sie etwa in der Teezeremonie gepflegt werden, das Einfache und Naturnahe zum Ausdruck bringen. Mit diesen Voraussetzungen hat es Japan seit Jahrhunderten verstanden, Einflüsse von außen mit eigenen Traditionen zu eigenen unverwechselbaren Stilen zu formen. Das gilt für Keramik ebenso wie für Malerei und Graphik und natürlich auch für Textilien. Einfache, mit Indigo gefärbte Textilien, sei es in Ikat-Technik (kasuri) oder auch nur bedruckt oder bemalt (sarase) oder gar als Flickengewänder (boro), sind ebenso Ausdruck dieser stilbildenden Kraft wie die kostbaren golddurchwirkten Brokatstoffe (karaosi) der Kosode und der Kostüme für das No-Theater. Doch das war nicht immer so. Während der ersten Zeit der Meiji-Periode stagnierten traditionelle Kunst und Kultur. Japan geriet in einen tiefgreifenden Wandlungsprozeß und es dauerte Jahrzehnte, bis die eigenen, alten Traditionen mit den westlichen Einflüssen in Einklang gebracht waren. Dafür, dass das schließlich perfekt gelang, sind die sogenannten Meisen Kimono der Karun Thakar Collection, meisterhaft publiziert durch Arnoldsche Art Publishers, ein treffliches Beispiel. Spätestens in der Taisho-Periode (1912-1916) war die Adaption moderner westlicher Spinn-, Web- und Färbetechniken so weit fortgeschritten, dass es erstmals in Geschichte japanischer Textilproduktion möglich wurde ikat-gefärbte Seidenstoffe (Meisen) in großer Menge und zu erschwinglichen Preisen zu produzieren. Der Meisen-Kimono wurde zum Modehit der jungen, selbstbewussten Frauen Japans und die Designer taten das ihre hinzu. Sie erinnerten sich der traditionellen Motive, Blumen, Ornamente oder Landschaften, nahmen die Kunst- und Designentwicklungen des Westens wie Jugenstil, Art Deco und Abstraktion zur Kenntnis und entwickelten einen unverkennbaren, modernen Stil, der zum visuellen Ausweis der Stadtmenschen wurde. Der technologische Fortschritt beim Färben der Garne vor dem Weben machte es möglich, die ikattypischen, vibrierenden und irisierenden Konturen, das Spiel mit Zwischentönen auch in neuen, fantasievollen Mustern aus Linien und Flächen beizubehalten. Erstaunlich bei dieser modischen Revolution war, dass sich der traditionelle und seit Jahrhunderten den japanischen Sitten und japanischem Klima angepasste, einfache Schnitt des Kimono dabei nicht änderte. Die in unzähligen Mustervarianten aber wegen der Besonderheiten ihrer Herstellung stets nur in kleinen Stückzahlen hergestellten Meisen Kimonos waren bis zum zweiten Weltkrieg der Renner der japanischen Frauenmode. Sie blieben trotz der Reduzierung der Seidenproduktion während des Krieges bis in die fünfziger Jahre aktuell. Doch dann kam das Tragen des Kimono zugunsten westlicher Kleidung außer Gebrauch und Meisen Kimonos verschwanden aus dem Straßenbild und dem Bewusstsein.

Der im Filmbusiness tätige und seit Jahrzehnten engagierte Textilsammler Karun Tahkar entdeckte vor etwa 5 Jahren den Meisen Kimono als ein weitgehend unbekanntes und wenig geschätztes Produkt kreativen japanischen Designs und konnte seither eine Sammlung von mehr als 250 Stück zusammentragen. Eine Auswahl der schönsten Exemplare verschiedener Motivgruppen – abstrakt, malerisch und traditionell – wird in dem wunderbar gestalteten Buch in großem Format so gekonnt in Szene gesetzt, dass es geradezu verwundert, dass diese Spielart japanischer Textilien länger als ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit geraten war, bevor sie zu einem Sammelgebiet avancierte. Ergänzt durch Detailwiedergaben entfaltet sich ein Kaleidoskop farbenfroher Kimonos mit einer schier unendlichen Mustervielfalt. Im einleitenden Essay schildert der Sammler, wie er als Kenner traditioneller japanischer Textilien den Meisen Kimono entdeckte und in ihm ein Designprodukt erkannte, in dem sich traditionelles Gestalten, moderne Technik und die typisch japanische Adaption fremder Einflüsse zu einer spezifisch neuen Kunstform zusammenfand. Anna Jackson, im Victoria & Albert Museum zuständig für japanische Mode und Textilien, erzählt die Geschichte und Tradition des japanischen Kimono, berichtet über die dramatischen Entwicklungen der Öffnung Japans zur westlichen Welt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wie es kam, dass gerade die japanische Textilindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts den technologischen Fortschritt der industriellen Revolution mit der Rückbesinnung auf die japanische Designtradition kombinierte. Was dabei herauskam sind die prachtvollen Meisen Kimonos.

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