Nomadic Visions – Tribal Weavings from Persia and the Caucasus

Nomadic Visions – Tribal Weavings from Persia and the Caucasus

Autor/en:         Michael Rothberg

Verlag:            HALI Publications / The Near Eastern Art Research Center,

Erschienen:     London / New York 2021

Seiten:             432

Buchart:          Hardcover

Preis:               GBP 70,00

ISBN:             978-1-898113-82-9

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Auch beim Sammeln gibt es Trends und Moden. Der ernsthafte Sammler eines exakt eingegrenzten Sammlungsbereichs mag das bestreiten, doch das Auf und Ab des Marktes belegt die Richtigkeit dieser These. Was aber die Beliebtheit oder auch die Vernachlässigung eines Sammelgebietes wirklich ausmacht, ist schwer zu bestimmen, schon gar nicht vorherzusagen und bestenfalls hinterher zu erklären. So etwa bei den in Sumaktechnik gearbeiteten Taschenfronten der Shahsavan, die im ausgehenden 20. bis ins beginnende 21. Jahrhundert einen Boom sondergleichen erlebten. Viele der kleinformatigen aber infolge ihrer webtechnischen Struktur und geometrischen Zeichnung exakt lesbaren Webarbeiten gingen für fünfstellige Beträge über die Tresen der Händler und Auktionatoren. Es war das nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums plötzlich verfügbare Angebot dieser vordem seltenen und nur wenig bekannten Gebrauchstextilien nordwestpersischer Nomaden und Bauern, das diesen Boom auslöste. Zahlreiche Publikationen zum Thema, wie etwa das wunderbare Buch von John Wertime „Sumak Bags of Northwest Persia & Transcaucasia“, um nur eines von vielen zu nennen, taten das ihre zu Geburt und Gedeihen eines attraktiven Sammelgebietes hinzu.

Für den Sammler, Winzer und Galeristen Michael Rothberg waren neben seinen Sammlungsschwerpunkten, den Turkmenen und Belutschen, auch Taschenfronten in Sumaktechnik von Interesse und es war mehr dem Zufall geschuldet, dass er in den 80er Jahren mit geknüpften Taschen der Qashqa´i und solchen aus Veramin eine neue Leidenschaft entdeckte. Ähnlich wie bei den gewebten Taschen waren es die ausgefallenen Muster, deren Vielfalt und deren klares Design, das ihn faszinierte, vor allem aber das durch Farb- und Wollqualität bestimmte haptische und optische Erleben. Dieser Faszination ist uneingeschränkt zuzustimmen. Die Dreidimensionalität des aus fein versponnener Wolle geknüpften Flors ist das Medium par excellence, um Farben, vor allem aber Naturfarben zur Entfaltung ihrer Vielfalt, Leuchtkraft und Intensität zu verhelfen. Das einfallende Licht wird von den Wollfasern je nach deren Lage und Tiefe in vielfältigster Weise gebrochen und reflektiert und fügt sich im Auge des Betrachters zu einer harmonischen Farbsymphonie. Diese Aussage gilt natürlich für jedes Knüpferzeugnis, entfaltet aber bei den mit Liebe, Tradition und ausgesuchten Wollqualitäten für den Eigengebrauch geknüpften Taschen besondere Wirkung. Die vielen doppelseitengroßen Detailvergrößerungen in Michael Rothbergs Buch über diese geknüpften Taschen lassen die Faszination erahnen, die den Sammler bewog, den geknüpften Taschen den Vorzug vor den gewebten zu geben.

Eine erste, von Michael Rothberg kuratierte Ausstellung geknüpfter Taschen anlässlich der ACOR (American Conference of Oriental Rugs) 1996 in Beverly Hills fand entsprechende Beachtung, blieb aber folgenlos; zu stark war wohl der Trend zu den gewebten Stücken. So ist Rothbergs Buch, das sich durchaus als der ein Vierteljahrhundert verspätete Katalog zur genannten Ausstellung versteht, die erste Publikation zum Thema geknüpfter Taschen aus Persien und dem Kaukasus. 205 Taschen aus der Sammlung von Michael Rothberg und seiner Frau Kathryn Amy und aus einigen weiteren privaten Sammlungen entfalten ein Feuerwerk von Formen und Farben und offenbaren eine überraschende Vielfalt unterschiedlichster Muster und Designvariationen. Dabei ist „Taschen“ hier der Oberbegriff, der sowohl die Khorjins umfasst, die gebräuchlichsten Taschen, die etwa zwei Drittel der publizierten Objekte ausmachen, aber auch Tschowals als die größeren Transport- und Aufbewahrungsbehälter, die kleineren Schultertaschen, die noch kleineren Täschchen für persönliche Accessoires, Salztaschen, verschiedener Tier- und Zeltschmuck, Mafrasch-Paneele und schließlich so seltene Objekte wie Koran-Futterale oder Scherenbehälter. Sie alle stammen aus zwei Großregionen, die Rothberg einmal mit „Transkaukasien und Nord-Persien“ und zum anderen mit „Süd- und Ostpersien“, bezeichnet und für beide noch einmal jeweils 5 Untergruppen nach geographischen bzw. ethnischen Kriterien bildet. Jedes dieser 10 Kapitel wird kenntnisreich und attraktiv illustriert und mit Hinweisen auf die Geschichte, auf Traditionen und auf stammestypische oder technische Besonderheiten der Knüpfarbeiten eingeleitet bevor die einzelnen Taschen meist seitengroß abgebildet, sorgfältig beschrieben und (im Anhang) mit allen technischen Details vorgestellt werden. Die Konföderationen der Shasevan, der Khamseh und der Qashqa´i und die Stämme der Kurden, Afscharen oder Luri, um nur die bekanntesten zu nennen, werden mit ihren liebenswertesten und nur bis ins frühe 20. Jahrhundert hergestellten Knüpfjuwelen umfassend präsentiert. Damit nicht genug ist dem eigentlichen Katalogteil ein mit „Context“ überschriebenes Kapitel vorangestellt, das von den im Dunkel der Frühgeschichte liegenden Anfängen des Teppichknüpfens über die Entstehung, Bedeutung und Gefährdung nomadischer Tierhaltung und nomadischen Lebens, über die Rolle der Frau in der nomadischen Gesellschaft bis zur Herkunft und Symbolik einiger häufig anzutreffender Muster informiert.

Der Sammler und Autor Michael Rothberg und das Team von HALI Publications haben wieder einmal ein Buch geschaffen, das nicht nur in ästhetischer Hinsicht überzeugt, sondern auch inhaltlich Maßstäbe setzt, die es auf Anhieb und sicherlich auch für lange Zeit zum Standardwerk machen.

 

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