Drumze – Metamorphosen des tibetischen Teppichs

Drumze – Metamorphosen des tibetischen Teppichs

Autor/en:         Franz Xaver Erhard, Thomas Wild

Verlag:            Edition Tethys

Erschienen:     Potsdam 2021

Seiten:             102

Buchart:          Hardcover

Preis:               € 42,00

ISBN:             978-3-942527-13-2

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Als vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert tibetische Teppiche in den Westen gelangten, war das Urteil von Experten und Sammlern rasch gefällt: Diesen mit synthetisch gefärbter Wolle grob geknüpften bunten Teppichen kann keine alte Knüpftradition zugrunde liegen. Und wer die Motive, bestehend aus Drachen, Kranich und Phönix oder aus Päonien und Lotos, umgeben von Bordüren mit den taoistischen Symbolen oder dem Fels-Wasser-Motiv sah, fand rasch die Erklärung einer Symbolik aus zweiter Hand, entlehnt vom großen Nachbarn China. Zwei Jahrzehnte später öffnete China die Grenzen Tibets und erste Besucher brachten vom Dach der Welt Teppiche in harmonischen Naturfarben und mit Mustern wie man sie nie zuvor gesehen hatte. Eine kleine Gruppe von Enthusiasten und Sammlern entdeckte eine neue Teppichästhetik und legte den Grundstein für ein ganz neues und spannendes Kapitel der Tapitologie.

Wesentlichen Anteil an den Inhalten dieses Kapitels hat der Teppichhändler Thomas Wild, der für das Teppichmuseum Schloss Voigtsberg in Oelsnitz im Vogtland eine kleine aber repräsentative Ausstellung tibetischer Teppiche (zu sehen bis zum 31.12.2022) kuratiert und zusammen mit dem Tibetologen Franz Xaver Erhard den Katalog zur Ausstellung geschrieben hat. Zu sehen ist eine äußerst eindrucksvolle Zusammenstellung von 41 Exemplaren, die die Entwicklung der tibetischen Knüpftradition vom 15. bis zum 21. Jahrhundert dokumentiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Teppichen aus der Region Lhokha an der Grenze zum indischen Arunachal Pradesh, vor allem aber aus dem Dorf Wangden unweit der Stadt Shigatse. Es sind Teppiche vorwiegend für den Gebrauch in Klöstern und Tempeln, die sich durch ihre charakteristische kettsichtige Struktur und die meist archaisch-minimalistischen Muster auszeichnen. Ihr Alter reicht, C-14-datiert, vom 15./17. bis ins 19. Jahrhundert. Das eigentliche Fundament tibetischer Teppichproduktion waren dann die im 18. und 19. Jahrhundert in Khampa Dzong geknüpften Sitz-, Schlaf- und Sattelteppiche für den säkularen Gebrauch. Die Beispiele für diese klassischen tibetischen Teppiche zeigen überwiegend variierende Medaillons und mäandernde Bordüren mit Swastika- oder T-Design. Chronologisch folgt eine Auswahl typischer Vertreter, des sich vom späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert durchsetzenden „Freien Design“, meist bordürenlos und mit Dekoren, die vom Schachbrettmuster bis zu Drache und Phönix reichen, die sich um die flammende Perle gruppieren, bevor dann einige Beispiele aus der exiltibetischen Teppichproduktion aus Indien und Nepal von ca. 1960 bis heute den Reigen der Exponate beschließen.

Ist schon der Besuch der Ausstellung wegen dieser repräsentativen Übersicht über vier oder mehr Jahrhunderte tibetischer Teppichproduktion unbedingt zu empfehlen, so ist der Katalog für jeden an Teppichen Interessierten aber auch für jeden Liebhaber tibetischer Kultur schlicht unverzichtbar. Die Texte von Thomas Wild und Franz Xaver Erhard sind das Beste, was bisher zur Geschichte des tibetischen Teppichs, über den vermuteten Ursprung dieser Tradition, über die Entwicklung der unterschiedlichen Typen, über ihren Gebrauch und über die Rezeption im Westen geschrieben wurde. Neben der Wahrnehmung tibetischer Teppiche durch westliche Reisende und deren schon vor weit über einhundert Jahres in europäische und amerikanische Museen gelangten Teppiche beeindrucken vor allem die Erwähnung von Teppichen in tibetischen Texten seit dem 13. Jahrhundert ebenso wie schriftliche und bildliche Zeugnisse aus den Mogao-Grotten in Dunhuang aus noch weit früherer Zeit. Auch wenn Beispiele solch früher tibetischer Teppiche bis heute fehlen, so dürften Zweifel an einer sehr alten Tradition ernsthaft kaum noch bestehen. Die nomadische Herkunft der Tibeter aus Zentralasien, Tierhaltung als nomadische Lebensgrundlage, die Nützlichkeit geknüpfter Strukturen für die klimatischen Extreme auf dem Dach der Welt und der Umstand, dass für jeden Tibeter sein Teppich auch heute noch ein selbstverständlicher Gebrauchsgegenstand ist, sind Indizien für eine weit zurückreichende Tradition. Dazu gehört auch die für den tibetischen Teppich typische besondere Knüpftechnik, bei der unter Zuhilfenahme eines Knüpfstabes zunächst Schlingen gebildet werden, die aufgeschnitten zu Knoten und Flor werden. Einst als Kuriosum belächelt, ist diese Knüpftechnik heute, vor allem durch die Untersuchungen der russischen Zentralasienexpertin Elena Tsareva als eine in längst vergangener Zeit vielfach angewandte, dann aber verloren gegangene und nur noch in Tibet praktizierte Technik mit erstaunlich variablen Gestaltungsmöglichkeiten erkannt worden. Mit der These „Was bleibt, ist der Knoten“ würdigen die Autoren diese tibetische Knüpftechnik als Grundlage für die Entwicklung und den überraschenden und nachhaltigen Erfolg der von tibetischen Refugees im indischen und vor allem nepalischen Exil geknüpften Teppiche. Auch wenn Größe und Design dieser Teppiche heute von westlichen Händlern und von amerikanischen und europäischen Modetrends bestimmt werden und sich weit von tibetischen Traditionen entfernt haben, so sind tibetischer Knoten und die Wolle tibetischer Hochlandschafe zu wichtigen Herkunfts- und Qualitätsmerkmalen moderner Teppichproduktion geworden.  In nur wenigen Jahrzehnten wurde der archaische Knoten, den tibetische Flüchtlinge in ihr Exil mitgebracht hatten zur Grundlage für den nach dem Tourismus zweitwichtigsten Wirtschaftsfaktor von Nepal.

So spannt der flüssig geschriebene und spannend zu lesende Katalog einen Bogen über viele Jahrhunderte von möglichen Ursprungsmythen in der nebelhaften Vergangenheit Zentralasiens über Recherchen in westlicher und tibetischer Literatur und über handfeste Ergebnisse intensiver Feldforschung in den Tälern, Dörfern und Knüpfzentren der zentralen tibetischen Provinz Tsang bis zu der durch die chinesische Tibetpolitik forcierten „Entgrenzung des tibetischen Teppichs“ und dessen Wandlung und Fortleben im Exil. Bleibt als Kritik allein die Degradierung des als Cover-Illustration gut gewählten, farbenfrohen Päonienteppichs zum bloßen Rahmen der als eine Art überdimensionaler Adressaufkleber gestalteten Titelei. Schade!

 

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