Tibetan Mustang – A Cultural Renaissance

Tibetan Mustang – A Cultural Renaissance

Autor/en:         Luigi Fieni, Kenneth Parker, Amy Heller

Verlag:            Hirmer Publishers

Erschienen:     München 2023

Seiten:             247

Buchart:          Hardcover

Preis:               € 69,00

ISBN:             978-3-7774-4197-9

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Der Hauptkamm des Himalaya mit der Kette der über 8000 Meter hinausragenden Eisgipfel bildet – grob gesprochen – die Grenze zwischen Nepal und Tibet (nach der Annexion durch China: TAR, Tibetan Autonomous Region). An der vielleicht dramatischsten Stelle dieses Gebirgszuges, zwischen den Achttausendern Annapurna und Dhaulagiri, getrennt durch die tiefste Schlucht der Welt, die sich der reißende Kali Gandaki in Jahrmillionen geschaffen hat, weitet sich diese Grenze nach Norden und umschließt Mustang, ein von ca. 1400 bis zum Anfang der 21. Jahrhunderts bestehendes tibetisches Königreich, in seiner Größe vergleichbar mit Luxemburg oder dem Saarland. Die geologischen Rahmenbedingungen – Gletscher, arides Hochgebirge, karge Weiden und nur vereinzelte für den Ackerbau geeignete Flächen im Schwemmland des Kali Gandaki und seiner Nebenflüsse begrenzten die Bevölkerung Mustangs seit jeher auf wenige tausend Einwohner. Das war all die Jahrhunderte nie ein Problem, denn durch das Königreich führte eine der wichtigsten Handelsrouten von Tibet nach Indien, auf der neben anderen Waren vor allem das begehrte Salz aus tibetischen Vorkommen transportiert wurde. Die Okkupation Tibets durch China, die Schließung der Grenzen seit 1950, vor allem aber seit 1959, war der Todesstoß für dieses traditionelle und lukrative Gewerbe. Mustang wurde zurückgeworfen auf seine karge Landwirtschaft und verarmte zusehends.

Erst 1992 wurde Mustang für den Tourismus freigegeben. Nur Wenige unternahmen den beschwerlichen siebentägigen Fußmarsch in die weit im Norden gelegene Hauptstadt Lo Manthang und fanden dort die vielleicht letzte intakte mittelalterliche Siedlung auf diesem Planeten mit Stadtmauer, mit bewachten und nachts verschlossenen Toren und zwei verfallenen Tempeln. Auch Mitarbeiter der American Himalayan Foundation (AHF) machten sich auf den Weg in dieses im späten 18. Jahrhundert von Nepal annektierte buddhistische Königreich. Anlässlich einer Audienz bei der königlichen Familie stellten die Besucher die Frage, welche kulturellen Projekte die Stiftung fördern könne und erhielten von König Jigme Dorje Palbar Bista die ebenso klare wie überraschende Antwort: Wenn die AHF den Menschen in Mustang wirklich helfen möchte, dann am besten durch die Wiederbelebung der Klöster und Tempel in Lo Manthang. Kultur und Religion seien in Mustang untrennbar verbunden; die Mönche verweigerten schon lange die Durchführung der Rituale denn beschädigte oder nicht mehr erkennbare Götterbilder könnten nicht länger Objekte der Verehrung sein. Die beiden Tempel der Stadt, der Jampa und der Thubchen, befänden sich in einem so weit fortgeschrittenen Stadium des Verfalls, dass eine bestimmungsgemäße Nutzung nicht mehr möglich sei.

Tatsächlich hatten Erdbeben, das extreme Klima, Feuchtigkeit und nicht zuletzt Mikroben in Jahrzehnten und Jahrhunderten der Architektur und den Wandmalereien schwerstens zugesetzt. So begann ein weltweit wohl einzigartiges Konservierungs- und Restaurierungsprojekt mit dem doppelten Ziel, Architektur und Kunstwerke vor dem weiteren Verfall zu bewahren und der lokalen Bevölkerung die Orte und Objekte spiritueller Verehrung zurückzugeben. Der italienische Restaurator und Fotograf Luigi Fieni hat das Projekt mehr als zwanzig Jahre geleitet. Sein nun bei Hirmer in einem repräsentativen Band im großen Format vorgelegter, detaillierter und reich illustrierter Bericht ist ein einzigartiges Dokument dieser bewundernswerten Arbeit des Restauratoren-Teams und zugleich eine Einführung in ein fast unbekanntes Land, seine spektakulären Landschaften, seine Dörfer, seine Tschörten und Tempel und die von alten Traditionen und harter Arbeit geprägten, fleißigen und stets fröhlichen Menschen, die Lo-pas.

Beide Tempel, der Jampa oder Maitreya und der dem Buddha Shakyamuni gewidmete Thubchen wurden um die Mitte der 15. Jahrhunderts errichtet und reich mit Figuren und mit Wandschmuck ausgestattet. Während der dreigeschossige Jampa mit einer Serie großdimensionierter Mandalas brilliert, besteht der Thubchen aus einer einzigen, ca. 28 x 19 Meter messenden Halle mit bis zu 9 Meter hohen Seitenwänden die mit großflächigen Fresken aus dem Pantheon der buddhistischen Sakya-Schule bemalt sind.

Die Vorarbeiten der eigentlichen Restaurierung beschäftigten das Team mehrere Jahre. Neben einer detaillierten Schadensaufnahme wurden die Arbeitstechniken und der Aufbau der Wandmalerei analysiert, Herkunft und Qualität der Pigmente untersucht, Tonvorkommen aus der Umgebung von Lo auf ihre Eignung getestet und für die Restaurierung schließlich die Entscheidung getroffen, synthetische Farben zu verwenden, da die natürlichen Produkte unter den harten klimatischen Bedingungen nicht ausreichend kontrollierbar erschienen. Von Anfang an und auf Wunsch des Königs wurden einheimische Lo-pas für die Restaurierung angelernt und eingesetzt. Das alles liest sich spannend und wird mit eindrucksvollen Bildern begleitet.

Entsprechend den differenzierten Schadensbildern der Tempel war auch die Restaurierung unterschiedlich. Während sich bei den außerordentlich fein ausgeführten Mandalas des Jampa-Tempels eine eher konventionelle Restaurierung als ausreichend erwies ergaben sich beim Thubchen mehr grundsätzliche Probleme, da die unteren Bereiche der wandhohen Malereien total verloren waren. Gefordert war daher nicht eine Restaurierung, sondern eine echte Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes, der aber niemals dokumentiert worden war. Dieser Teil der Arbeit wurde denn auch international massiv kritisiert, da eine solche „Restaurierung “ im Widerspruch zu den elementaren Prinzipien westlicher Denkmalpflege stehe. Schließlich wurde im Interesse der Lo-pas und ihres Königs die vollständige Wiederherstellung der Andachtsfunktion des Tempels, also die Rekonstruktionslösung verwirklicht. Dies allerdings mit dem größtmöglichen Aufwand, um dem ikonographischen Konzept ohne wesentliche Fehler möglichst nahe zu kommen. So wurden etwa Studien an zeitgleichen Malereien in ebenfalls der buddhistischen Sakya-Schule zugehörigen Tempeln in Tibet (Shalu, Gyantse) vorgenommen und der Rat des höchsten Lamas dieser Schule, SH Sakya Trichen, eingeholt. Das Ergebnis ist, wie die Farbtafeln zeigen, meisterhaft gelungen und es wurde von den Lopas und den Mönchen auch angenommen wie stimmungsvolle Aufnahmen von buddhistischen Ritualen wie etwa dem Streuen und dem anschließenden Zerstören eines Sandmandalas belegen.

Luigi Fienis abschließendem Resümee, dass andere Kulturen und deren religiöse Vorstellungen Art und Umfang von Restaurierungsarbeiten beeinflussen dürfen und müssen, ist voll zuzustimmen und entspricht einer 1993 in Colombo formulierten These der ICOMOS (International Council on Monuments and Sites), dass „the western philosophy does not have a universal value“.

Print Friendly, PDF & Email