Textile Treasures of Dulan

Textile Treasures of Dulan

Autor/en:         XuXinguo, Angelika Sliwka

Verlag:            Abegg-Stiftung und Cultural Relics Press, Riggisberg Beijing

Erschienen:     2021

Seiten:             305

Buchart:          Softcover mit Schutzumschlag

Preis:               CHF 85,00

ISBN:             978-3-905014-69-3

Kommentar:    Michael Buddeberg

 

Kaum jemand wird die kleine Kreisstadt Dulan inmitten der westchinesischen Provinz Qinghai kennen oder auch nur von ihr gehört haben. Sie gehört zum Kreis des Autonomen Bezirks Haixi der Mongolen und Tibeter und liegt etwa 150 Kilometer westsüdwestlich des großen Qinghai-Sees, dem Leser von Sven Hedin und anderer Tibet-Literatur unter dem Namen Kokonor und den vielen Legenden, die sich um ihn ranken, sicher schon begegnet sind. Während das Dulan von heute ökonomisch und touristisch nur von geringer Bedeutung ist, war die Region vor etwa 1300 Jahren ein Knotenpunkt in dem dichten Netz von Handelswegen, dem der Geograph und Forscher Ferdinand von Richthofen  im späten 19. Jahrhundert den vereinfachten aber einprägsamen Namen Seidenstraße gegeben hat. Dulan, oder wie auch immer die Bezeichnung dieser Region damals lautete, hatte eine wichtige Funktion für den Handel zwischen China und Tibet. Anzumerken ist hier, dass sich Tibet im 7. und 8. Jahrhundert zu einem ernst zu nehmenden Machtfaktor im zentral- und ostasiatischen Raum entwickelt hatte. Zu danken war das König Songtsen Gampo der tibetischen Yarlung Dynastie, der dem chinesischen Kaiser Taizong der Tang-Dynastie durch den erfolgreichen Marsch auf dessen Hauptstadt Chang´an immerhin die Tang-Prinzessin Wen Chen als Ehefrau abtrotzte, ganz zu schweigen von den chinesischen Tributleistungen in Form ungezählter Ballen Seide.

Diese von den Tibetern schon damals hochgeschätzte Luxusware hat auch den vorstehend bezeichneten Weg genommen, wie die bedeutenden archäologischen Stätten im Kreis Dulan belegen. Gegraben wird hier seit 1982, und vor allem das Gräberfeld von Reshui, aus dem Objekte aus Gold, Silber, Bronze, Lack, Zinn und Holz, nicht zuletzt aber auch hunderte von Seidentextilien, wenn auch durchweg nur als mehr oder weniger große Fragmente geborgen wurden, bescherte der Grabungsstätte die Aufnahme in die Liste der wichtigsten Denkmäler der Volksrepublik China.

Das Buch über diese textilen Schätze ist das Ergebnis einer im Jahre 2003 begonnenen Kooperation zwischen dem Institute of Cultural Relics and Archaeology of Qinghai Province und der Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern. Von den mehr als dreihundertfünfzig ausgegrabenen und sorgfältig konservierten Fragmenten werden 83 Highlights präsentiert, die mit mehr als einhundert gemusterten Seiden einen tiefen Einblick in diesen einzigartigen Schatz gewähren. Von der Spätzeit der Nördlichen Dynastien (ca.557-589) bis zum Ende der Tang-Dynastie (618-907) decken die Textilien eine Zeitspanne von mehr als dreihundert Jahren ab, lassen eine stilistische Entwicklung erkennen und erstaunen durch eine kaum für möglich gehaltene Vielfalt unterschiedlicher Webtechniken und Muster. Praktisch alles, was zu jener Zeit technisch machbar war, ist mit Beispielen vertreten und dies häufig mit besonders frühen oder gar den frühesten überhaupt bekannten Exemplaren. Der größere Teil, etwa 85%, stammt aus chinesischer Produktion, während der Rest west- und zentralasiatischer Herkunft ist.

Den einleitenden Worten der beteiligten Institutionen folgt eine Beschreibung der geographischen Situation und der einstmals gegebenen ökonomischen Bedeutung dieses Teils der Seidenstraße, hier „Quinghai Road“ genannt, bevor im Detail auf die Vielfalt und Struktur der verschiedenen Webtechniken eingegangen wird. Zehn ganz unterschiedliche Strukturen oder textile Bindungen mit zusätzlichen Varianten waren während der Tang-Zeit in Gebrauch. Als Beispiel mögen hier die mehrfarbigen Kompositgewebe, chinesisch „jin“, erwähnt sein, die einen großen Teil des Schatzes ausmachen und die in zahlreichen Varianten vertreten sind, etwa als kettsichtig und als schusssichtig. Schließlich werden Lösungen für bisher offene webtechnische Fragen vorgestellt, mit welchen sich die Forschung an den Textilien von Dulan besonders eingehend beschäftigt hat. Den Hauptteil des Buches nehmen natürlich die Textilien selbst in Anspruch, mit Abbildungen, die den altersbedingten Zustand nicht beschönigen und mit vollständigen technischen Angaben und Beschreibungen. Als eines der Highlights sei hier eine Socke erwähnt, die aus drei verschiedenen Geweben komponiert und zusätzlich noch mit dekorativer Stickerei verziert ist – wer mag wohl dieses Meisterwerk der textilen Künste einst getragen haben?

Damit ist ein Stichwort für eine geographisch-politische Anmerkung gefallen. Dulan, beziehungsweise die 1928 gegründete Provinz Qinghai, sind heute faktisch ein Teil der Volksrepublik China. Im siebten Jahrhundert war es die Heimat der Tuyuhun, eines protomongolisch-tibetischen Mischvolkes mit türkischem Einschlag. Im Jahre 663 wurden die Tuyuhun von den Tubo angegriffen, unterworfen und unterstanden die nächsten dreihundertfünfzig Jahre deren Herrschaft. Die Tubo aber sind nichts anderes als Tibeter, deren von Songtsen Gampo initiierter Expansionsdrang das gesamte tibetische Hochland bis weit über den Kokonor hinaus erfasste, eine Region also, die als Amdo bis ins 20. Jahrhundert als tibetisches Territorium angesehen wurde. Es kann daher durchaus vermutet werden, dass in den Gräbern von Reshui Tibeter und nicht Chinesen bestattet wurden. Die 85% einer chinesischen Herkunft zugeschriebenen Textilien des Schatzes von Dulan werden an anderer Stelle des Buches als überwiegend lokal produziert bezeichnet. Waren die Weber also Tibeter? – ist nur eine der Fragen, die sich hier stellen, deren Beantwortung aber von einer chinesisch-europäischen Forschungsarbeit nicht erwartet werden kann.

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