The Cultural Monuments of Tibet´s Outer Provinces – KHAM – Vol.1 – The TAR Part of Kham

Autor/en: Andreas Gruschke
Verlag: White Lotus Press
Erschienen: Bangkok 2004
Seiten: 318
Ausgabe: illustrierte Broschur
Preis: US-$ 37.50
ISBN: 974-4800-49-6
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2004

Besprechung:
Was ist Tibet? Ist es ein Teil Chinas mit einer einem Irrglauben anhängenden Minderheit? Ein sprirituelles Shangri-La mit friedvollen, tiefreligiösen Menschen? Ist es gar nur ein geographischer Begriff für das durch hohe und unwegsame Randgebirge begrenzte, höchste Plateau der Erde? Oder ist Tibet, wo Tibeter leben und wo tibetisch gesprochen wird, wo Menschen eine ganz besondere Art des Buddhismus praktizieren, den Mahayana, das „Große Fahrzeug“? Ist es vielleicht nur ein politischer Begriff, TAR, „Tibetan Autonomous Region“, der eine Provinz von anderen chinesischen Provinzen abgrenzt? Alles ist richtig und doch auch wider nicht. Je mehr man sich mit Tibet befaßt oder gar Tibet bereist, um so schwieriger wird die Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Ein Blick auf die Geschichte und die aktuelle Politik macht die Antwort nicht leichter. Was Tibet ist, war in den vergangenen fünfzehn Jahrhunderten ebensowenig eindeutig zu beantworten wie heute. Seit jeher hatte jeder je nach seinem politischen, kulturellen oder religiösen Standort eine andere Antwort und das ist bis heute so geblieben. Mehr noch: Die Antwort war noch nie so schwer zu finden wie heute. Die Globalisierung, das sich in atemberaubender Geschwindigkeit modernisierende China und eine mit dem Ende der chinesischen Kulturrevolution einsetzende Revitalisierung tibetischer Kultur und Religion konfrontieren uns mit einem Tibet, das mit seinen extremen Gegensätzen zwischen kulturellen Traditionen und modernem Leben ebenso faszinierend wie schwer zu begreifen ist. Nirgendwo ist dieser Dualismus ausgeprägter als in Kham, jener Provinz des alten Tibet, die sich zwischen dem ehemals vom Dalai Lama verwalteten Zentraltibet und dem eigentlichen China erstreckte, immerhin ein Gebiet fast von der Größe Mitteleuropas. Andreas Gruschke, Ethnograph, Sinologe und Geograph, einer der besten Kenner des heutigen Tibet, der mit seinen beiden Bänden über die kulturellen Monumente von Amdo bereits Maßstäbe gesetzt hat, widmet sich in der Einleitung seines ersten, auf drei Bände angelegten Werkes über Kham dieser schwierigen Frage, was Tibet eigentlich ist und zeigt hier einmal die ethnische, sprachliche und kulturelle Vielfalt Tibets und auch Khams auf. In Kham gab es darüber hinaus immer auch eine ausgeprägte politische Vielfalt, denn die besondere geographische Situation dieser Grenzregion zwischen dem tibetischen Hochplateau und China hat dazu geführt, das Kham in zahlreiche, von der tibetischen Zentralregierung oder auch von China mehr oder weniger abhängige oder gänzlich unabhängige Königreiche, Fürstentümer und monastische Staatswesen zersplittert war. Trotz der ungeheuren Verluste kultureller Werte in der 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts spiegelt Gruschkes aktuelle Bestandsaufnahme kultureller Monumente diese Vielfalt wieder. Nicht nur, daß weit mehr Zeugnisse der alten tibetischen Kultur erhalten blieben – bisher ging man im Osten Tibets von einer fast 100%igen Vernichtung tibetischer kultureller Monumente während der Kulturrevolution aus –, auch die seit Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts wiedererrichteten Bauten zeigen in Architektur, Ausstattung und Aussage das weite Spektrum der wiederbelebten tibetischen Kultur und Religion. Das gilt für den ganzen Osten Tibets, aber auch für den im vorliegenden Band behandelten Teil des alten Kham, der heute zu Xizang, der Autonomen Region Tibet gehört. Dieser Teil Tibets war seit jeher eine der unzugänglichsten und am wenigsten besuchten Regionen des Landes und birgt daher sowohl landschaftlich wie kulturell besonders viele Überraschungen. Es sind die tief eingeschnittenen Stromtäler des Mekong und des Salween, die gewaltige, noch weitgehend unerforschte Schlucht des Yarlung Tsampo, der dann in Indien Brahmaputra heißt, und weiter die nach den größeren Siedlungen genannten Bezirke Chamdo, Riwoche, Tengchen oder Sog-de, um hier nur einige zu nennen. Gruschke beschreibt die Geschichte und den aktuellen Zustand von vielen Dutzenden von Klöstern und Tempeln, zeigt deren Entwicklung an alten Fotografien und hervorragenden aktuellen Farbaufnahmen (der Tafelteil umfaßt 195 Bilder). Wer weiß schon, daß das berühmte Kloster Jampa Ling in Chamdo, eines der größten Gelugpa-Klöster außerhalb von Zentraltibet, im 20. Jahrhundert gleich zweimal zerstört worden ist? Das erste Mal war es die Strafaktion einer tibetischen Lhasa-Armee im Jahre 1917, die nur Ruinen übrig ließ. Der Wiederaufbau 1918 hielt nur bis zur Kulturrevolution. Eine erneute Rekonstruktion begann 1980 und heute leben dort wieder über 1000 Mönche. Und wer kennt schon einen der eindrucksvollsten Tempelbauten Tibets, den Riwoche Tsuglagkhang, ein einzigartiges Juwel tibetischer Architektur? Wer heute dieses machtvolle, sich durch seine Farbgebung mit vertikalen grau-rot-weißen Streifen der Taglung-Kagyüpa-Schule sich zuordnende Bauwerk mit seinen meterdicken Mauern und gewaltigen Holzsäulen besucht, glaubt, den mittelalterlichen Originalbau vor sich zu haben und ahnt nicht die originalgetreue Rekonstruktion aus den Jahren nach 1982. In Tengchen schließlich findet sich eine Hochburg der Bön und die beiden Zwillingsklöster Tengchen Gompa und Tengchen Ritrö sind mit ihrer wiedererstandenen Ausstattung und ihrer rituellen Vitalität eine wahre Fundgrube für die Praxis und materielle Kultur dieser Mischform animistischer und spiritueller Religiosität. Die auf einem Hügel thronende, wie ein kleiner Potala wirkende Sog Tsanden Gompa, die Chörten-Landschaft der urtümlichen Tagsham Gompa oder die kleine, in schroffer Hochgebirgslandschaft auf einer paradiesischen Märchenwiese liegende Drugu Gompa sind weitere Juwelen Ost-Tibets und mögen hier als Beispiele für viele weitere genügen. Wer sich je auf die beschwerliche Reise in diesen Teil Khams aufmacht, für den ist das neue Buch Gruschkes schlicht unentbehrlich. Ja mehr noch als das: War ein Besuch dieser Regionen bislang eine schwer planbare Reise ins Ungewisse, so liegt nun ein Kunst- und Kulturführer vor, der zugleich Anregung und Begleiter für ein solches Vorhaben ist. Gegenüber den Amdo-Bänden ist hervorzuheben, daß zahlreiche Detailkarten, wenngleich nur in schwarz/weiß und in mäßiger Druckqualität, die mangels brauchbarer offizieller Karten bisher schwierige Orientierung vor Ort erheblich erleichtern. Schließlich und letztlich räumt Gruschke noch mit einem Vorurteil auf: Die Khampas sind durchaus nicht die Räuber, wilden Nomaden und geborenen Rebellen als die sie im Westen gelten. Sie sind Bauern, Viehzüchter, Händler und Handwerker, sie sind fröhlich, gastfreundlich und hilfsbereit wie alle Tibeter und sie sind in ihrem Herzen echte Tibeter geblieben. Es gilt, was Gruschke schon in seinen Amdo-Bänden feststellte: „Eine Zivilisation stirbt nicht, solange der Wille existiert, sie an künftige Generationen weiterzugeben.

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