Portraits of the Masters – Bronze Sculptures of the Tibetan Buddhist Lineages

Autor/en: Donald Dinwiddie (Hrsg)
Verlag: Serindia Publications Inc. and Oliver Hoare Ltd.
Erschienen: Chicago und London 2003
Seiten: 396
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 95.–
ISBN: 1-932476-00-8
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2004

Besprechung:
Zu den eindrucksvollsten Erfahrungen Reisender im Tibet von heute gehört es, die andachtsvolle Verehrung zu erleben, die Tibeter einem Bild des Dalai Lama entgegenbringen. Streng verboten, verfemt und geächtet von den chinesischen Besatzern, ist ein Portrait des Dalai Lama das begehrteste Geschenk, das einem Tibeter gemacht werden kann, sei er Mönch in einem Kloster in Lhasa, Bettler auf dem Markt von Shigatse oder Nomade in der Weite des Changtang. Jeder so Beschenkte wird das Bild in Verehrung Seiner Heiligkeit und mit dem Wunsch nach eigener Erleuchtung an die Stirn halten, ein Gebet oder Mantra murmeln, um es dann in den Falten des Umhangs oder der Chuba zu bergen. Die Verehrung von Bildern tibetischer Lamas, der großen Lehrer und Visionäre des Buddhismus, die Verehrung ihrer Portraits als Wandmalerei oder Thangka oder in Form von Skulpturen gehört zu den Phänomenen des Vajrayana-Buddhismus. Der reinen Lehre Buddhas war das Abbild zunächst fremd und noch Jahrhunderte nach seinem Tod wurde Buddha nur in Form von Symbolen, als Fußabdruck, als das Rad der Lehre oder als Stupa dargestellt. Mit der Entwicklung tantrischer Vorstellungen und Praktiken, untrennbar verbunden mit der Belehrung und Begleitung durch den Guru oder Lama, wurde das Abbild Buddhas, das Abbild friedlicher oder zornvoller Wächter der Lehre, wurde die Bilder von Lamas und Lehrern zu einem wesentlichen Bestandteil der buddhistischen Glaubenspraxis. Aus den Aufzeichnungen des chinesischen Mönchs Xuanzang aus dem 7. Jahrhundert weiß man, daß bereits im Indien jener Zeit Portrait-Skulpturen buddhistischer Lehrer in der tantrischen Praxis von Visualisation und Meditation Verwendung fanden. Das blieb so im Vajrayana-Buddhismus bis heute und ist dennoch, sowohl religionsgeschichtlich wie kunsthistorisch ein bisher wenig beachteter, kaum beschriebener aber faszinierender Aspekt des tibetischen Buddhismus. Es stellt sich die Frage, wie sich in der strengen Ikonographie des tibetischen Pantheon eine individuelle Portraitkunst entwickeln konnte, lange bevor es im postklassischen Europa etwas Vergleichbares gab? Die eindrucksvolle Publikation von Serindia gibt hierauf eine Antwort. Sie ist die erste umfassende Darstellung dieser faszinierenden, bis heute lebendigen religiösen Tradition. 108 Bronzen des Sammlers Oliver Hoare, zusammengetragen in 10 Jahren, glänzend und einfühlsam in großem Format und oft in mehreren Ansichten fotografiert, zeigen ein repräsentatives Bild tibetischer Portrait-Skulptur vom 12. bis zum 18. Jahrhundert. Die Bronzen, meist kleineren Formats, sind von ausgesuchter Schönheit und Ausdruckskraft. Fein ziselierte Lotossockel, oft mit Inschriften versehen, prächtige Roben und Gewänder aus kostbaren Stoffen oder asketische Flickengewänder, Schmuck und Kopfbedeckungen, Attribute wie Schädelschale oder Vajra und Ghanta, helfen bei der schwierigen Identifizierung der Dargestellten oder der oft noch schwereren Altersbestimmung. Am eindrucksvollsten aber sind die Dargestellten selbst, ihre Haltung, ihre Mudras und ihre Gesichter, mit einer weiten Spanne menschlichen Ausdrucks. Je nach Situation sehen wir die Lamas in lockerer, entspannter Sitzhaltung, gleichsam im Gespräch mit Schülern, oder in innerer Versenkung und Meditation. Ihre Gesichter spiegeln strenge Disziplin und Autorität, Konzentration und Trance oder einfach Freude, Sanftmut und Humor. Sie verströmen einen inneren Frieden mit einer Intensität, der sich ein Betrachter nicht zu entziehen vermag. Und es sind unverkennbar Portraits, es sind trotz der ikonographischen Darstellung individuelle, erkennbare Persönlichkeiten. Wir begegnen den großen Königen der Yarlung-Dynastie, Songtsen Gampo und Trisong Detsen, dem indischen Magier Padmasambhava, den legendären Lehrern der Kagyupa-Linie, Tilopa, Marpa und Naropa, dem Reformator Tsongkapa, einigen Dalai und Panchen Lamas und vor allem dem wohl beliebtesten Lama aus der tibetischen Geschichte, dem Asketen und Dichter Milarepa. Der einleitende Essay von Heather Stoddard widmet sich dem Phänomen von 14 Jahrhunderten tibetischer Portraitkunst, vom Selbstportrait bis zu den Bronzen, die Jahrhunderte nach dem Tode des Dargestellten entstanden. Heather Stoddard erzählt von den Verfahren und Materialien, entschlüsselt Gesten, Kleidung, Kopfbedeckungen und Attribute und befaßt sich ausführlich mit den Problemen der Identifizierung und Datierung. Trotz der Auswertung historischer tibetischer Quellen und großer Fortschritte in der stilkritischen Analyse tibetischer Kunst, bleiben manche Portraits unidentifizierbar. Das ändert nichts an der Feststellung, daß die Portraitskulptur eine genuine tibetische Tradition ist, daß die anonymen tibetischen Künstler trotz der Einbindung in die buddhistische Bildwelt den Versuch unternommen haben, das individuelle physische Abbild bedeutender Persönlichkeiten darzustellen. Der Katalogteil mit den 108 sorgfältig beschriebenen Bronzen ist systematisch eingeteilt. Er beginnt mit den Buddha nahestehenden Arhats, widmet sich den 4 zentralen Schulen des tibetischen Buddhismus, den Nyingmapa, Kagyupa, Sakyapa und Gelugpa, um sich in einem abschließenden Kapitel anderen Schulen und Traditionen zuzuwenden. Jedem Kapitel sind Einführungen über die historische Entwicklung, die Inhalte und die bedeutendsten Lehrer der jeweiligen Tradition vorangestellt, den Lehrern also, denen wir dann in ihren Portraits von Angesicht zu Angesicht begegnen. Ein hinreißend schönes und in der wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas außerordentlich wichtiges Buch.

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