Das Mandala – Der Heilige Kreis im tantrischen Buddhismus

Autor/en: Martin Brauen
Verlag: unveränderter Nachdruck der Universität Zürich
Erschienen: Zürich 2002
Seiten: 150
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: CHF 75.–
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2002

Besprechung:
Vom 11. bis 23. Oktober 2002 wird seine Heiligkeit, der 14. Dalai Lama, in Graz das Kalachakra-Ritual zelebrieren, das „Kalachakra for World Peace“. Martin Brauen hätte sich keinen besseren Zeitpunkt für einen Nachdruck seines lange vergriffenen Buches aussuchen können, denn es ist das Kalachakra-Mandala, das Mandala der höchsten Tantra-Klasse, das im Mittelpunkt des Buches steht. Bedeutung, Inhalt und Funktion des Mandala, sowohl als zwei- oder dreidimensionale Darstellung, wie auch des Mandala-Rituals werden am Beispiel der Kalachakra-Tradition erläutert und erklärt. Dabei ist sich der Autor der Schwierigkeit seiner Aufgabe bewußt. Es ist eine Gratwanderung, die letzte Wahrheit, um die es dem tantrischen Buddhismus geht, nämlich die Leere oder die Leerheit, sowie den dazu führenden, höchst komplizierten Weg, das „Gott-Yoga“, darzulegen, geht es doch um eine Annäherung an etwas, das sich in Worten eigentlich nicht fassen läßt, das vom Suchenden nur durch mühsames Streben und unter Anleitung eines geistigen Lehrers selbst erkannt werden muß. Damit müssen die meisten Versuche oder Wege, das Mandala zu erklären scheitern. Ästhetische Kriterien, so schön und ansprechend die meisten Mandala auch sind, berühren nur die Oberfläche. Eine kunsthistorische Betrachtung ist ebenso ein Irrweg, denn Mandalas sind keine Kunstwerke und wollen auch keine sein. Auch eine westlich religionswissenschaftliche Sicht führt nicht weiter, denn Mandalas sind weder Gottesdarstellung noch sind sie Anbetungs- oder Verehrungsobjekt. Und dennoch sind sie von allen Kultobjekten des tantrischen Buddhismus diejenigen mit der größten und zugleich tiefsten Bedeutung. Eine Antwort ist nur über ein echtes Verständnis buddhistischen Glaubens zu erlangen. Dem initiierten buddhistischen Lama dient das Mandala als Mittel zur Meditation, als kosmisches Ordnungsschema, als wichtigstes Sinnbild für den Zusammenklang zwischen Mensch und Kosmos. Mit Hilfe des Mandala strebt der Tantriker die Visualisierung spiritueller Prinzipien an, sucht er tiefer einzudringen in geheime Lehren, die es ihm ermöglichen sollen, den leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten zu verlassen und Erleuchtung zu erlangen. Das Mandala als Spiegel des Kosmos im Menschen ist daher omnipräsent, es ist Makrokosmos und Mikrokosmos zugleich, Unendlichkeit und Mensch. Entsprechend vielfältig sind die Erscheinungsformen das Mandala. Mandalas kennen wir als Rollbild oder Wandmalerei, als einfaches Getreide-Mandala auf dem buddhistischen Altar, als Grundriß von Kloster oder Tempel – man denke etwa an das Kloster Samye oder den Jokhang-Tempel in Lhasa – als extrem vergängliches, aus gefärbtem Pulver gestreutes Bild oder als zeitloses Naturphänomen – der Heilige Berg Kailash ist hier nur eines von vielen -, oder als Stupa, einer architektonischen Nachbildung des Universums. So erinnert das Beschreiten eines Stupa – etwa des Stupa von Borobudur oder des Kumbum von Gyantse – an den meditativen Gang durch den Mandala-Palast, jenen Stufenweg zur Erleuchtung, auf dem der Initiand vom Grobstofflichen über den Feinstofflichen bis zum Formlosen Geistigen Bereich voranschreitet, um schließlich höchste Wonne und Leere zu erfahren. Das Buch von Martin Brauen ist ein schwieriges und anspruchsvolles Buch, und für den an buddhistischen Erkenntnissen Interessierten eine exzellente Lektüre. Für den konzentrierten Leser ist es eine Anregung, einen eigenen Weg in der Auseinandersetzung mit dem tantrischen Welt- und Menschenverständnis zu finden.

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