Worlds of Transfirmation – Tibetan Art of Wisdom and Compassion

Autor/en: Marylin M. Rhie, Robert A. F. Thurman
Verlag: Tibet House
Erschienen: New York 1999
Seiten: 512
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: £ 60
ISBN: 0-9670115-1-5
Kommentar: Michael Buddeberg, November 1999

Besprechung:
Es bedarf schon mehrerer Glücksfälle, damit ein solches Buch, dessen Qualität, Bedeutung und Schönheit im Rahmen einer kurzen Rezension kaum richtig gewürdigt werden kann, das Licht der Welt erblickt. Das sind einmal die bisher kaum bekannten und überwiegend noch nie publizierten Schätze tibetischer Kunst, weit mehr als tausend Objekte, in den Sammlungen von Shelley und Donald Rubin und in der Rubin Stiftung. Diese Sammlung umfaßt vor allem den größten Schatz tibetischer Malerei im Westen, vergleichbar nur mit den Sammlungen des Potala-Palastes, des Tibet-House in New-Delhi oder der Sammlung in Dharamsala. Die Sammlung Rubin ist ein einzigartiger Fundus tibetischer Thankas vom 12 bis zum 20. Jahrhundert. Das ist ferner das Tibet-House in New York, eine Gründung von Tibetern im Exil, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die geheimnisvolle und außergewöhnliche Kunst und Kultur dieses Landes einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen. Vor allem aber ist es das kongeniale Autoren­team Marylin Rhie und Robert Thurmann, die schon für den phänomenalen Katalog der Ausstellung „Weisheit und Liebe“, mittlerweile in 6 Sprachen übersetzt und bis jetzt eines der maßgebenden Kompendien tibetischer Kunst, verantwortlich zeichneten. Mit diesem neuen Band über die tibetische Malerei haben Rhie und Thurman den mit jenem Katalog gesetzten Maßstab nochmals weit hinter sich gelassen. Das liegt zunächst an den dargestellten Objekten selbst. Die zweihundert für dieses Buch ausgewählten Thangkas – zweihundert weitere sollen in einem zweiten Band folgen – sind von allerhöchster Qualität. Zum anderen aber finden wir in diesen Thangkas den intensivsten und kompri­miertesten Ausdruck tibetischer Kunst und Kultur, tibetischen Denkens und Fühlens, der Spiritualität und Weisheit dieses Landes. Und wer könnte besser in diese Welt einführen als eine Kunsthistori­kerin und ein Religionswissenschaftler, die sich beide seit vielen Jahren der heiligen Kunst von Tibet verschrieben haben. Rhie und Thurmann nähern sich dieser Kunst zugleich von der kunstgeschicht­lich-ästhetischen und der religiös-ikonographischen Seite und das ist unerläßlich um zu einem Verständnis von Bedeutung, Stil, Kunstfertigkeit und Schönheit und zum Verstehen der tiefgründigen Bedeutung der Bilder zu gelangen. So empfinden wir zugleich die Ehrfurcht des Pilgers auf dem Pfad zur Erleuchtung und das Entzücken des Schatzsuchers beim Entdecken dieser Malereien. Sie sind Lehrstücke über die Natur der menschlichen Seele auf ihrer Reise durch die Sphären des Lebens und des Sterbens. Tibetische Thangkas offenbaren menschliche Träume und Ängste, Schrecken und Erhabenheit, Optimismus und Überzeugung und jede Figur ist zugleich sie selbst und Teil einer spirituellen Welt. Die Thangkas decken alle bisher bekannten Schulen, Nebenschulen und Maler ab. Die Schulen von Menri, Khyenri, Karma Gardri, New Menri, Situ Panchen und die Schulen von Kham sind gut repräsentiert. Darüber hinaus ist das Material der Sammlungen Rubin so reichhaltig, daß es neue Erkenntniss und Theorien ermöglicht. Robert Thurman sieht zeitgleich mit der italieni­schen Renaissance ab etwa 1400 über einen Zeitraum von zwei- bis dreihundert Jahren eine so ungewöhnliche und bisher auch nicht wahrgenommene Hochblüte tibetischer Malerei, daß er von der „Ganden Kunst-Renaissance“ spricht. Ganden deshalb, weil diese Entwicklung vom Stamm­kloster Tsong Khapas, von einer der großen Klosteruniversitäten und der dort begründeten ikonographischen Erneuerung ausging. Tsong Khapa wurde erleuchtet und geprägt von Buddha Maitreya, dem Buddha der Zukunft, und er reformierte alle Ebenen der buddhistischen Lehre, Viele Kloster­gründungen, der große Stupa von Gyantse mit seinen großartigen Wandmalereien, ja selbst der Potala-Palast und eben der erstaunliche Aufschwung der tibetischen Malerei, viele der schönsten Thangkas in diesem Buch, wären ohne Tsong Khapa und seine Reformen nicht denkbar. Einen ganz anderen Schwerpunkt setzt Marylin Rhie. Sie bricht eine Lanze für die oft vernachlässigte und unverstandene tibetische Malerei des 19. Jahrhunderts. Diese späten tibetischen Thangkas sind provozierend und anziehend zugleich. Ihre Vitalität und Phantasie, ihr ästhetischer Ausdruck, ihre Ablösung von der klassischen Ikonographie, führen uns in eine freie Welt unbekannter Dimensionen, eines Nebenein­ander von Nah und Fern, sie erzählen uns etwas, was jenseits konventioneller Grenzen liegt. Und in der Tat: sie bewirken die Verschmelzung des Bekannten mit dem Unbekannten, des Konventionellen mit dem Unkonventionellen, des Weltlichen mit dem Transzendentalen und das ist nichts anderes als die erleuchtete Vision der Einheit von Samsara und Nirwana im hier und jetzt. Und trotz allem Wandel und aller Entwicklung in der buddhistischen Kunst Tibets ist es diese Vision, die immer wieder versucht und immer wieder verwirklicht wurde. All die Thangkas aus Jahrhunderten tibetischer Vergangenheit sind erstaunlich modern. Sie vermitteln eine gleichbleibende, ungewöhnliche und tiefgründige Vision unserer Welt.

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