Imag(in)ing the Nagas – The Pictorial Ethnography of Hans-Eberhard Kauffmann and Christoph von Fürer-Haimendorf

Autor/en: Alban von Stockhausen
Verlag: Arnoldsche Art Publishers
Erschienen: Stuttgart 2014
Seiten: 452
Ausgabe: illustrierter Halbleinenband
Preis: € 58,00
ISBN: 978-3-89790-412-5
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2014

Besprechung:
Zu der sehr widersprüchlichen Literatur über die Nagas, die Bewohner des wenig erforschten und über Jahrzehnte völlig unzugänglichen Dschungelgebietes im Nordosten Indiens zwischen Myanmar, Bangladesh und China ist an dieser Stelle eigentlich schon alles gesagt worden. Vor fast sechs Jahren erschien ein Buch von Peter von Ham mit einem in Bild und Text sehr nostalgischen Bericht über die vormalige Kopfjägerkultur mit ihren Ritualen, Festen und ihrer materiellen Kultur und was der heutige Tourist davon alles noch zu sehen bekommen kann. Fast zeitgleich wurde eine ethnologische Gemeinschaftsarbeit der Völkerkundemuseen Zürich und Wien publiziert, in der ein Team von Ethnologen darlegte, dass mit der britischen Kolonialherrschaft, mit einer fast zu 100% erfolgreichen Christianisierung durch amerikanische Baptisten und nicht zuletzt durch die oft brutale Integration der Nagas in den jungen indischen Staat ab 1947 die komplexe Kultur der Naga so gut wie völlig ausgelöscht wurde. Eine Abwägung von Inhalt und Aussage dieser so gegensätzlichen Bücher finden Sie in dem damals hier publizierten Vergleich der beiden Publikationen, zu dem Sie sofort Zugang haben, wenn Sie beispielsweise das Stichwort „Ham“ oder „Naga“ oder „Stockhausen“ als Suchbegriff eingeben. Machen Sie den Versuch – es ist die ideale Einführung in die Grundlagen des soeben erschienenen, weiteren Buchs über die Kultur der Nagas.

Alban von Stockhausen, Mitherausgeber und Mitautor der ethnologischen Studie aus dem Jahre 2008, ist seit 2002 in dem Forschungsprojekt über die Kultur der Naga tätig und hat sich die Aufgabe gestellt, diese auf der Grundlage des Fotomaterials zweier Ethnologen zu dokumentieren, das in den Jahren 1936 und 1937 anlässlich längerer Forschungsaufenthalte in Nagaland entstanden ist. Das Ergebnis ist eine in ihrer Vollständigkeit und ethnologischen Tiefe beeindruckende Ethnographie in Bildern mit einer Fülle noch nie zuvor publizierten Materials. Dazu dann später. Zunächst und quasi zur Einführung findet der Leser eine kleine Geschichte der ethnologischen Fotografie. Man sollte meinen, dass die etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts aus den ersten Kinderschuhen entwachsene Fotografie sehr bald auch bei ethnologischer Feldforschung eingesetzt wurde. Das war auch der Fall doch die Größe und Funktion der frühen Apparate ebenso wie das unhandliche und zerbrechliche Negativmaterial erschwerte oder verhinderte das echte Abbild exotischer Wirklichkeit. Klassische Ethnologen hielten daher die Fotografie lange Zeit für unnötig und wissenschaftlich nicht seriös. Das änderte sich erst mit Beginn der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, als die 35mm-Kleinbildkameras mit ihren praktischen Filmpatronen entwickelt und gebräuchlich wurden. Es war just die Zeit als die zwei fotografierenden Ethnologen nach Nagaland aufbrachen, der Österreicher Christoph von Fürer-Haimendorf (1909-1995) mit Contax-II Kameras und der Deutsche Hans-Eberhard Kauffmann (1899-1985) mit mehreren Leicas vom Typ III. Das Material, das von Fürer-Haimendorf nach Hause brachte, ist bekannt und zu einem großen Teil auch publiziert. Sein 1939 bei Brockhaus erschienener Expeditionsbericht „Die nackten Nagas – 13 Monate unter Kopfjägern Indiens“ ist reich mit Fotos illustriert, entwickelte sich rasch zu dem ethnologischen Bestseller schlechthin und erlebte zahlreiche Auflagen. Der Biographie von Fürer-Haimhausen, seiner Naga-Expedition 1936/37, dem Verbleib und der Wirkung seines ethnologischen Materials und natürlich der fotografischen Ausbeute von insgesamt etwa 3600 Bildern aus Nagaland, darunter frühe Farbdias auf „Agfacolor NEU“ widmet der Autor ein Kapitel seines Buches. Der eigentliche Anlass zu dieser Ethnographie in Bildern aber war die Entdeckung des verloren geglaubten, kompletten fotografischen Werks von Hans-Eberhard Kaufmann durch den Autor. Die fast zeitgleich mit Fürer-Haimendorf durchgeführte Expedition von Kauffmann zu den Nagas war wegen dessen etwas dubioser und nie ganz aufgeklärter Nazi-Vergangenheit fast ganz in Vergessenheit geraten. Anlässlich seiner Recherchen nach Bildmaterial entdeckte Alban von Stockhausen in den Lagerräumen des Institutes für Ethnologie und Afrikanistik der Ludwig-Maximilian-Universität in München einen verstaubten, seit 70 Jahren nicht mehr bewegten Schuhkarton mit den in Aluminium-Dosen originalverpackten Filmen Kaufmanns mit ca. 2500 Fotos – ein wahrer ethnologhischer Schatzfund. Mit diesem Schatz an Bildern erleben wir eine Reise in das Land der Nagas vor 80 Jahren. Ähnlich wie von Fürer-Haimendorf war auch Kauffmann von den Möglichkeiten der Kleinbildfotografie, den Wechselobjektiven mit verschiedenen Brennweiten und den ersten Filmen für Farbdias begeistert und machte umfänglich davon Gebrauch. Doch anders als von Fürer-Haimendorf, der den größten Teil seines Forschungsaufenthaltes in dem Dorf Wakching des Konyak-Stammes verbrachte, versuchte Kauffmann, so viel wie möglich von Nagaland, den verschiedenen Stämmen und ihren Lebensgewohnheiten und Ritualen zu sehen und zu fotografieren. So umfasst sein Material nicht nur die Landschaften, Dörfer und Architekturen von Nagaland, sondern auch das gesamte soziale, gesellschaftliche und ökonomische Leben der Nagas, Handel, Landwirtschaft, Jagd und Handwerk, ihre spirituelle Welt, geprägt durch Feste, Tanz, Musik, Steinsetzungen und Totenrituale und schließlich ihre materielle Welt, Holzschnitzerei, Töpferwaren, Textilien, Schmuck und vieles andere mehr. All dies ist vom Autor thematisch geordnet, mit einer repräsentativen Auswahl von Fotos aus dem Kauffmann-Schatz begleitet und ausführlich kommentiert. Das so entstehende Bild vom Leben und der Kultur der Nagas, die schon damals auch nach Auffassung der beiden Protagonisten vom Untergang bedroht war, ist faszinierend und authentisch und lässt fast vergessen, dass die Tagebücher und Aufzeichnungen von Hans Eberhard Kauffmann leider bis heute verschollen sind, ein weiterer Schatz, der hoffentlich auch noch entdeckt wird.

Print Friendly, PDF & Email