Indian Jewellery – The Victoria and Albert Collection

Autor/en: Nick Barnard
Verlag: Victoria and Albert Publishing
Erschienen: London 2008
Seiten: 128
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 24.99 engl. Pfund
ISBN: 978-1-85177-483-8
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2008

Besprechung:
Dass Schmuck die Funktion hat, zu schmücken, ist selbstverständlich, dass er häufig auch Amulett ist, vor Unheil bewahren und vor dem bösen Blick schützen soll, dass er Symbol ist für Status, Rang und Reichtum, ist weithin bekannt. Von einem weiteren, ungewöhnlichen Zweck berichtet Thomas Holbein, die erste europäische Experte für indischen Schmuck, schon vor hundert Jahren: Bei den Konds aus Gumsur – einem der zahlreichen indischen Stämme – trug die Braut, wenn sie zum ersten Mal das Haus ihres Bräutigams betrat, traditionell zwei Armreifen aus massivem Messing mit einem Gewicht von 12 Kilo und mehr. Dieser Schmuck hatte gleichsam die Funktion von Handschellen und sollte die Braut daran hindern, aus ihrem neuen Heim wieder fortzulaufen. Erst nach drei Tagen wurde ihr der Schmuck abgenommen, in der Annahme, dass sie sich dann in ihr Schicksal gefügt hatte. Das mag man als ein Kuriosum betrachten, aber es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass Frauen in manchen indischen Gesellschaften bei der täglichen Feldarbeit oder beim Wasserholen 5 Kilogramm Gold in Form von Schmuck mit sich trugen, und von den Frauen des Stammes der Santal berichtet man, dass ihr täglich getragener Schmuck mehr als 15 Kilogramm wog. Diese zugegeben etwas ausgefallenen Beispiele belegen aber dennoch die Bedeutung von Schmuck in der indischen Kultur. Natürlich soll er schmücken, die Schönheit oder andere körperliche Vorzüge betonen, aber Schmuck in Indien ist auch Zeichen von Reichtum, Ansehen und vor allem ethnischer Identität, Ausdruck von sozialem Status und gesellschaftlichem Rang, Begleitung von Lebensritualen, Schutz vor Unheil und Krankheit und schließlich Ausdruck von Religion und Glauben, Medium für das Gebet und Mittel für die Zwiesprache mit den Göttern. Und, entsprechend der kaum überschaubaren ethnischen Vielfalt des indischen Subkontinents, ist die indische Schmuckkultur mit deutlichem Abstand die reichste der Welt. Materialien, Techniken und vor allem die zahlreichen Schmuckformen, von der Turban-Agraffe bis zum Knöchelschmuck, vom Kollier bis zum Daumenring, dem Schmuck für Hals, Nase und Ohren, Haare, Stirn und Zehen bis zur unendlichen Vielfalt von Schmuck für Finger, Hand und Arme formen einen wesentlichen Korpus der materiellen Kultur Indiens. Das ist nicht neu und in vielen Publikationen von namhaften Autoren untersucht, beispielsweise in dem Kompendium indischen Schmucks von Opi Untracht, der ausschließlich indischem Ohrschmuck gewidmeten Publikation von Waltraud Ganguly oder den Beiträgen von Hans Weihreter zum Schmuck des Himalaya und der rajputischen Fürstenhöfe (Buchbesprechungen sind im Archiv zu finden). Und so nimmt man den neuen Band der Publikationen des Victoria & Albert Museums mit der Frage zur Hand, ob hier überhaupt noch Neues gesagt und gezeigt werden kann. Der Leser wird nicht enttäuscht. Die über 4000 Exemplare umfassende Sammlung indischen Schmuck im V&A – etwa 200 davon werden im Buch gezeigt und beschrieben – wurden zu einem großen Teil bereits im 19. Jahrhundert gesammelt und machen diese Sammlung nicht nur zur weltweit größten, sondern auch hinsichtlich des Alters und der Provenienz der einzelnen Stücke zur wichtigsten Kollektion überhaupt. Publikationen über Schmuck, vor allem über ethnischen Schmuck, leiden zumeist an dem Mangel an älteren oder alten Exemplaren. Einschmelzen und Umarbeiten war immer schon das normale und häufigste Schicksal von Schmuck und so ist es von außerordentlicher Bedeutung, zu wissen, dass Stücke der Sammlung bereits in der Pariser Weltausstellung im Jahre 1855 ausgestellt waren (verschiedene Hals- und Gebetsketten aus Onyx, Kalzedon und rosa Bergkristall), aus der Sammlung eines englischen Adeligen aus dem frühen 18. Jahrhunderts stammen (Daumenring aus Achat) oder, wie ein großartiger goldener Armreif mit einem vollplastischen Vogelpaar und Rubinen in Kundantechnik, von der Internationalen Ausstellung in London im Jahre 1872 angekauft wurde. Andere Stücke stammen nachweisbar aus königlichem Besitz (silberner Gürtel von Sri Vikrama Raja Simha, dem letzten König von Kandy, Sari Lanka) oder aus berühmten frühen Sammlungen, etwa der des Caspar Purdon Clarke, der von Colonel Charles Seton Guthrie oder von Lord und Lady Amherst. Neben der hohen Qualität der einzelnen Schmuckstücke ist es daher auch der Hauch des Britischen Empire, der durch dieses schöne Buch weht, und die Tradition einer ehrwürdigen Museumssammlung, die dieses Buch auszeichnet. Daneben werden nicht nur Schmuck gezeigt, sondern auch das Handwerkszeug des Silber- und Goldschmieds, Guss-, Press- und Stanzwerkzeuge, alte Fotografien, Aquarelle und Bilder mit authentischen Darstellungen aus dem alten Indien. Die Texte von Nick Barnard, Kurator für die Kunst des südlichen Asien im V&A, befassen sich zunächst mit den vielschichtigen Fragen, wer, wann und wo in Indien welchen Schmuck trägt und warum, um dann Einzelheiten über Materialien, die Vielfalt von Schmucksteinen, über Handwerker und Techniken und über die Geschichte der Sammlung indischen Schmuck im Victoria & Albert Museum zu berichten. Das Buch „Indian Jewellery“ ist für Liebhaber und Sammler indischen Schmucks und für jeden, der an indischer Kultur interessiert ist, ein Gewinn.

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