Das indische Grabmal des l´timad du-Daulah

Autor/en: Amina Okada, Jean-Louis Nou
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2004
Seiten: 176
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: Euro 49.–
ISBN: 3-777-4-2015-8
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2004

Besprechung:
Wollte man die Geschichte der mächtigsten Frauen dieser Welt erzählen, so dürfte man Nur Jahan, die 18. Ehefrau des großen Mogulkaiser Jahangir keinesfalls vergessen. Es war im Jahre 1611 als sich Janhangir in die persische Hofdame Mehrunnisa verliebte, ihrer Schönheit, ihrem Charme und ihrer Intelligenz erlag und sie kurz darauf zur Gemahlin nahm. Noch im Jahr der Hochzeit verlieh Jahangir seiner Mehrunnisa den Titel Nur Mahal, „Licht des Palastes“ und, um ihr Ansehen und ihre Macht am Hofe zu mehren, erkannte er ihr einige Jahre später, 1616, den Titel Nur Jahan, „Licht der Welt“ zu. Nur Jahan war die große Liebe Jahangirs und von ihm selbst ist der Satz überliefert „Bevor ich sie heiratete, wußte ich nicht, was die Ehe wirklich bedeutet.“ Nur Jahan war eine außergewöhnliche Frau. Aus einer persischen Intellektuellenfamilie stammend verstand sie sich nicht nur auf Musik, Poesie und Kunst, sondern war auch eine erstklassige Reiterin und Polospielerin und nahm erfolgreich an den sonst Männern vorbehaltenen Jagdpartien teil. In seinen Memoiren wird Jahangir nicht müde, den Mut und die Geschicklichkeit seiner Frau zu preisen, von der es hieß, daß ihr auf dem Gebiet der Tigerjagd niemand das Wasser reichen konnte. Nur Jahan verstand es, den durch Alkohol- und Opiumgenuß geschwächten und oft willenlosen Jahangir zu umgarnen und viele Jahre, bis zum Tod Jahangirs im Jahre 1627 lag die Regierung praktisch in den Händen Nur Jahans und ihrer Familie. Der reisende Engländer Peter Mundy berichtete, daß Jahangir praktisch zu Nur Jahans Gefangenem wurde, „denn während seiner Regierungszeit beherrschte die Kaiserin gewissermaßen alles, weil sie ihn beherrschte. Sie ließ aus eigener Initiative Münzen prägen, errichtete nach Belieben Gebäude, trieb selbst Handel und verteilte nach eigenem Gutdünken kaiserliche Gunstbezeigungen oder verweigerte sie.“ Auch über die traditionellen Beschränkungen und Zwänge der Abgeschiedenheit des Harems setzte sie sich locker hinweg, zeigte sich in der Öffentlichkeit, nahm an Audienzen teil, erließ gar kaiserliche Edikte, hatte ihr eigenes Hoforchester. Ihre erheblichen finanziellen Mittel aus Ländereien, eigenen Handelsschiffen und aus Einfuhr- und Wegezöllen setzte sie nicht nur für persönlichen Luxus, für Schmuck und für kostbare Textilien ein, sondern sie sorgte etwa für Waisenmädchen und errichtete öffentliche Bauten, Karawansereien, Moscheen und Gärten. Daß Shah Jahan nach dem Tode seines Vaters Jahangir ein intaktes und gut verwaltetes Kaiserreich übernehmen konnte, ist aber nicht nur der Klugheit Nur Jahans, sondern vor allem ihrem Vater zu verdanken, der zuletzt den Rang eines Premierministers bekleidete und dem Jahangir den prestigereichen Titel I´timad du-Daulah, „Stütze des Staates“ verliehen hatte. Nur Jahans Eltern starben beide 1622. Die Tochter war vom Tod der geliebten Eltern tief erschüttert und begann ein Grabmal zu errichten, das sowohl ihrer Liebe zu den Eltern, aber auch dem Edelmut und der Tüchtigkeit ihres Vaters würdig sein sollte. In den Jahren 1622 bis 1628 entstand ein Bauwerk, das zu den kostbarsten Kleinodien der Mogulkunst des 17. Jahrhunderts gehört, ein Juwel, ohne das das berühmte Taj Mahal nicht denkbar wäre, ein einzigartiges Zeugnis mogulischer Architektur und Dekorationskunst. Diesem Grabmal ist eine internationale Monographie gewidmet, die in deutscher Sprache bei Hirmer erschienen ist. Dem Textteil mit der Geschichte und genauen Beschreibung des Bauwerks folgt ein opulenter Tafelteil, mit dem sich Schönheit und Harmonie des Mausoleums in Gesamtansichten und vielen vielen Detailaufnahmen wundervoll erschließen. Das Fehlen jeglicher Bildlegenden zwingt zur ständigen Interaktion mit dem Text und erweist sich damit gar als Vorteil. Das Grabgmal ist ein Novum in der Mogularchitektur, ein neuer Stil der sich dann beim Taj Mahal zu prachtvoller Perfektion weiterentwickelt hat. Neu ist die Verkleidung der gesamten Oberfläche des Bauwerks mit weißem, leicht irisierenden Marmor mit einem üppigen Dekor aus Halbedelsteinen und Piedradura-Einlegearbeiten in den Farben Gelb, Ocker, Rot, Braun, Schwarz und Hellgrau. Geometrische und abstrakte, vegetabile und florale Motive, Arabesken, persisch inspirierte Vasen und Blumensträuße, eingefügt in Nischen und Medaillons, lassen das Grabmal des I´timad du-Daulah wie ein einziges funkelndes Mosaik erscheinen. Die Halbedelsteininkrustationen aus Lapislazuli, Onyx, Jaspis, Topas, Achat und Karneol entstammen einer alten und blühenden indischen Handwerkstradition und gelangen hier in der Verbindung mit weißem Marmor zu einem großartigen Höhepunkt. Von dieser Kunst der indischen Steinschneider zeugen schließlich auch die Marmorböden im Innern des Grabmals, deren Arabesken und florale Muster auf das Interesse Nur Jahans für Teppiche und Textilien hinweisen mögen. Mindestens ebenso bemerkenswert, vielleicht sogar noch reizvoller, als der Pietradura-Dekor der Außenmauern des Mausoleums ist der Wandschmuck der Innenräume und Grabkammern. Wände, Decken und Nischen sind mit Wandmalereien und bemalten oder modellierten Stuckreliefs in einer Kombination von leuchtenden Farben geschmückt. Die Motive greifen den Außendekor wieder auf: Verschiedene Baumarten, Zypressen, Platanen und Granatapfelbäume, mehr oder weniger stilisierte Blumen oder Ranken und Weintrauben, aber auch mit Früchten überreich gefüllte Kelche und Tabletts. Dieses reiche dekorative Repertoire des Mausoleums ist von Bildern, Metaphern und Symbolen bestimmt, die die Wunder und Wonnen des Paradieses verheißen. Es ist ein visueller Kontrapunkt zu den nicht darstellbaren Passagen im Koran, die das Leben der Auserwählten im Garten Eden schildern. Die durch kunstvolle Gitter aus durchbrochenem Marmor in unzählige Glitzerpunkte zerteilten Sonnenstrahlen bringen die ins Halbdunkel getauchten Räume ins Flimmern und verbreiten ein paradiesisches Licht. Trotz seiner bescheidenen Ausmaße, aber aufgrund des verschwenderischen Reichtums und der erlesenen Pracht seiner gemalten und skulptierten Ornamentierung zählt das Mausoleum des I´timad du-Daulah ganz sicher zu den schönsten Werken der Mogularchitektur Indiens. Seine Intimität macht es dem grandiosen Taj Mahal sogar in mancher Hinsicht überlegen. Das Urteil des Rezensenten: Sehr empfehlenswert.

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