Samuel Bourne – Sieben Jahre Indien, Photographien und Reiseberichte 1863 – 1870

Autor/en: Ulrich Pohlmann, Dietmar Siegert
Verlag: Photomuseum im Münchner Stadtmuseum + Schirmer/Mosel
Erschienen: München 2001
Seiten: 272
Ausgabe: iluustrierter Hardcover-Einband mit Schutzumschlag
Preis: DM 98.–
ISBN: 3-88814-901-0
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Der indische Subkontinent mit seiner Vielfalt der Religionen, Kulturen und landschaftlichen Schönheiten übte auf Europäer jahrhundertelang eine ungebrochene Faszination aus. Die Berichte früher Reisender, Kaufherren und Seefahrer über die märchenhaften Reichtümer der Mogulkaiser und der Fürsten Rajastans klangen wie Märchen aus tausendundeiner Nacht und ließen Indien zu einem Land europäischer Sehnsucht werden. Nur wenige jedoch schafften vor dem 19. Jahrhundert die lange und beschwerliche Seereise oder gar die abenteuerliche Reise zu Land. Das änderte sich mit der zunehmenden Konsolidierung der britischen Kolonialmacht in Indien. Mit der Niederschlagung der Aufstände des Jahres 1857 war dieser Prozess abgeschlossen. Offizieren und Soldaten, Verwaltungsbeamten und Kaufleuten, Handwerkern und Ärzten, Literaten und Künstlern, meist mit Familie und für viele Jahre, wurde Indien zur zweiten Heimat. So war es für den knapp dreißigjährigen Bankangestellten und begeisterten Photographen Samuel Bourne vielleicht gar kein so gewaltiger Schritt, den ungeliebten Beruf mit dem eines professionellen Photographen in Indien zu vertauschen. 1862 verließ Bourne England und eröffnete nach seiner Ankunft in Simla, der Sommerresidenz der britischen Kolonialregierung am Fuße des Himalaya ein Photoatelier, das er bis 1870 betrieb. Während der sieben Jahre in Indien unternahm Bourne mehrere ungewöhnliche und spektakuläre Photoexpeditionen, die ihn unter anderem in den oberen Himalaya, nach Kaschmir und an die Quelle des Ganges führten. Seine Photographien, die seinerzeit beliebt und erfolgreich waren, bestimmten lange Zeit das Indien-Bild in Großbritannien und in anderen europäischen Ländern. Danach, im 20. Jahrhundert gerieten Bourne und seine Aufnahmen weitgehend in Vergessenheit. Dem Münchner Fotomuseum, das in seinem Fundus eine bedeutende Sammlung zur Photographie des 19. Jahrhunderts in Indien besitzt, ist es zu danken, daß mit weiteren Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen nicht nur eine Retrospektive (Ausstellungen in Linz, München und Lausanne) sondern auch ein Buch zustande kam, das als kleine Sensation bezeichnet werden kann. Es sind in erster Linie die Photographien aus dem oberen Himalaya, aus Spiti vor allem, Photographien von gewaltigen Gletschern, einsamen Hochtälern, verschneiten Pässen, entlegenen, festungsgleichen Dörfern und eindrucksvoller Holzarchitektur, von denen eine ungeheure Faszination ausgeht. Samuel Bourne war ein glänzender Photograph und seine Aufnahmen sind nicht nur von großer Ausdrucksstärke sondern sie besitzen eine technische Perfektion, eine Schärfe und Brillanz, die noch heute von modernster Technik kaum übertroffen werden kann. Ergänzt werden die Photos – es sind im übrigen die ersten Hochgebirgsaufnahmen der Photogeschichte – durch detaillierte Expeditionsberichte, die Bourne von seinen Reisen verfaßt hat. Erst durch sie wird die erstaunliche Leistung des Photographen wirklich erfaßbar. Es galt nicht nur, entlegene Gebiete auf kaum vorhandenen Pfaden zu erreichen und mitunter tagelang in Eis und Schnee auszuharren, es mußte vor allem eine umfängliche Ausrüstung mitgeführt werden, schwere Kameras, Chemikalien, zerbrechliche Glasnegative, das Dunkelkammerzelt, Proviant für mehrere Wochen, alles wohlverpackt in schweren Transportkisten. Bis zu 80 Sherpas waren mitunter nötig um das Expeditionsgepäck zu tragen. Die Aufnahmebedingungen selbst waren nicht minder beschwerlich. Bei Belichtungszeiten von bestenfalls mehreren Sekunden waren schnelle Schnappschüsse aus der Hand undenkbar. Jedes Photo bedurfte einer genauen Standortwahl, einer sorgfältigen Vorbereitung und auch all dies war dann noch keine Gewähr für eine gelungene Aufnahme. Wechselnde klimatische Verhältnisse und die große Höhe hatten häufig bis dato unbekannten Einfluß auf die chemischen Prozesse. All dies berichtet Bourne mit trokenem englischen Humor. Wirklich beklagt wird von ihm nur die Unvollkommenheit seiner technischen Ausrüstung, mit der er meint, die gewaltigen Dimensionen und die Erhabenheit der Bergwelt nicht darstellen zu können. Zu Unrecht, denn kaum ein Bild vermag die Größe und Gewalt des Himalaya besser abzubilden als Bournes Bild eines schmalen Holzsteiges an einer senkrechten, sich in dunkler Tiefe verlierenden Felswand. Neben diesen faszinierenden Bildern aus dem Himalaya finden wir aus dem 1200 Photos umfassenden indischen Gesamtwerk Bournes ländliche Szenen, Portraits von Einheimischen, von Maharadjas mit ihrem Gefolge, vor Sirdars und Nawabs und von britischen Kolonialherren, vor allem aber Photos indischer Architektur, indischer Monumente von Benares bis Shrinagar, von Delhi bis Lahore, von Sarnath bis Lucknow, auch diese ergänzt durch plastische Beschreibungen, die in ihrer Detailliebe und Treffsicherheit den Photographen und Künstler offenbaren. Ein ungewöhnliches und sehr zu empfehlendes Indienbuch. (- mb -)

Print Friendly, PDF & Email