Court and Craft – A Masterpiece from Northern Iraq

Autor/en: Racher Ward (Hrsg)
Verlag: Courtauld Gallery und Paul Holberton Publishing
Erschienen: London 2014
Seiten: 176
Ausgabe: Broschur
Preis: 30,00 engl. Pfund
ISBN: 978-1-907372-65-0
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2014

Besprechung:
Eine der erfolgreichsten Ausstellungen des Bayerischen Nationalmuseums der letzten Jahre war einem modischen Accessoire gewidmet. Fast 300 Taschen aus der Zeit von 1500 bis heute waren zu sehen, vom mittelalterlichen Lederbeutel bis zur „Kelly Bag“ aus dem Hause Hermès. Eines wurde dabei klar: Auch wenn Kurfürst Max von Bayern dem Waidwerk nicht ohne seine prunkvolle Jagdtasche nachging, Graf Montgelas in seinen Kabinettssitzungen von einer mit seinem Namen versehenen, goldverzierten Aktenmappe begleitet war und die so genannte Brieftasche seit jeher als eher männliches Accessoire galt, so war die Tasche doch immer in erster Linie eine Domäne der Damen. Zwar hat sich die moderne Damenhandtasche, wie wir sie heute kennen, erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet, aber die stets oder gelegentlich mitgeführte Tasche, sei es als Beutel für das Handarbeitszeug, als geräumiger „Zöger“ für die Einkäufe auf dem Markt, als „Ridicule“ für alles, was die Damen so bei sich haben wollten oder auch als perlenbestickter Geldstrumpf war immer eine Spielwiese der Weiblichkeit und nicht zuletzt auch ein Prüfstein für die handarbeitliche Geschicklichkeit bei der Herstellung. Entsprechend dem Sammlungsauftrag des Bayerischen Nationalmuseums beschränkte sich die bemerkenswerte und von einem schönen Katalog begleitete Ausstellung allerdings auf den europäischen Kulturraum. Einen Blick in den Orient erlaubte allenfalls die schon erwähnte Brieftasche mit der typischen Klappe, als deren Vorbild ein Experte den orientalischen Bucheinband sah. Exakt eine solche Klappe ist nun bei einer Tasche zu sehen, einer einzigen wohlgemerkt, der eine ganze Ausstellung in der Londoner Courtauld Gallery gewidmet ist, einem kleinen Museum, das vor allem wegen seiner Sammlung von Impressionisten und Postimpressionisten bekannt ist und das nun zum ersten Mal in seiner Geschichte islamische Kunst präsentiert (bis zum 18. Mai 2014). Und hier ist gleich zu fragen: Ist das überhaupt eine Tasche? Die „Courtauld Bag“, weltweit das einzig bekannte Exemplar ihrer Art, ist ein Behälter aus Messing, dessen Form wohl einer Tasche aus Leder oder einem textilen Gewebe nachempfunden ist und dessen reiche ornamentale und figürliche Verzierung mit Einlagen in Gold und Silber auf einem durch eine Art Bitumen oder Harz fast schwarz wirkenden Grund üblicherweise einer ganz anderen Gruppe von Gegenständen vorbehalten ist, nämlich Tabletts, Wasserkannen, Schalen, großen Becken, Kerzenleuchtern und Dosen. Dieses Mysterium, die Einzigartigkeit der „Courtauld Bag“ und die Ungewissheit ihrer Funktion und Herkunft – man weiß nur, dass sie von dem britischen Sammler Thomas Gambier Perry (1816-1888) 1868 wohl in Italien erworben und von seinem Enkel im Jahre 1966 dem Museum übergeben wurde – war der Grund, warum eine sorgfältige wissenschaftliche Untersuchung bisher nicht stattgefunden hat. Das ist nun anders. Unter der Initiative und Leitung der Gastkuratorin Rachel Ward hat im Jahre 2012 ein Workshop stattgefunden, dessen Ergebnis die Ausstellung und der schöne Katalog ist. Eine Herstellung in Mosul im frühen 14. Jahrhundert, als die Stadt unter der Herrschaft der mongolischen Ilkhaniden war, und ein Gebrauch als eine Art Handtasche für eine hochgestellte Dame des Hofes gelten nun als wahrscheinlich. Ausschlaggebend für dieses Ergebnis ist vor allem der einzigartige Dekor. In einem netzartig und diagonal die gesamte Oberfläche bedeckenden Rapport ineinander verwobener Musterelemente in „T“- und Swastikaform, die an die Hintergrundmusterung früher chinesischer Brokate erinnern, sind einzelne Medaillons angeordnet, die Szenen aus dem Leben am Hofe der mongolischen Ilkhaniden zeigen. Kleidung, Accessoires und Tätigkeiten der Dargestellten geben klare Hinweise, dass hier höfische Festlichkeiten thematisiert werden, wie sie der mongolischen Kultur entsprachen und mit dem Genuss von Musik und Wein typisch waren, etwa für den Tag nach einer erfolgreichen Jagd. Auch die Herkunft aus Mosul ist stimmig, denn so grausam der Mongolensturm auch war, so waren die Eroberer doch klug genug, dass sie die Handwerker verschonten, so dass sich die hohe Tradition der Metallarbeiten aus dem zuvor mamlukischen Mosul nicht nur erhalten konnte, sondern im frühen 14. Jahrhundert sogar zu einer späten Blüte reifte. Um dieses singuläre Kunstobjekt der „Courtauld Bag“ gruppieren sich Exponate höchster Qualität aus berühmten Museen und Sammlungen, Objekte aus Glas und Metall, Schmuck, ein chinesischer Spiegel, alles Gegenstände, wie sie die Personen auf den Medaillons gebrauchen. Und natürlich sieht man zum Vergleich ähnlich kunstvoll verzierte Metallobjekte aus Mosul, wobei das berühmte, signierte Becken mit Wasserkrug aus dem Museum für Islamische Kunst in Berlin wohl das bedeutendste ist. Besonders zu erwähnen ist eine 1396 in Bagdad gemalte Miniatur der Geschichte von Humay und Humayum, auf der eine Dienerin einen Behälter in der gleichen Form der „Courtauld Bag“ präsentiert. Im Katalog ist all das wunderbar abgebildet und sorgfältig beschrieben, hier aber noch ergänzt durch eine Anzahl Essays namhafter Autoren, die das historische und politische Umfeld (Charles Melville), die überraschend bedeutsame Rolle der Frauen am Hofe der Ilkhaniden (Judith Pfeiffer) und die Wichtigkeit der Jagd für die mongolischen Herrscher (Teresa Fitzherbert) beschreiben. Während Bilder von Musikanten und ihren Instrumenten im islamischen Kunsthandwerk immer wieder zu finden sind (Anna Condadini), ist der Genuss von Wein in der islamischen Kunst und Gesellschaft ein eher seltenes Thema. Robert Hillenbrand zeigt in seinem Essay, dass der regelmäßige und nicht selten exzessive Konsum von Alkohol in den obersten Gesellschaftsschichten und am Hof in Literatur und Poesie einwandfrei belegt ist. Die Verfügbarkeit chinesischer Seide als wichtiger Luxusartikel (James Allan) und das Fortbestehen der hohen Kunst der Metallbearbeitung unter der mongolischen Herrschaft, für die die „Courtauld Bag“ das beste Beispiel ist (Julian Raby) beschließen den Reigen dieser interessanten Beiträge. „Court and Craft“ ist ein wundervoller Katalog, der nur einem einzigen Gegenstand gewidmet ist und doch den Blick auf das ganze Kunsthandwerk einer Epoche der islamischen Kultur öffnet.

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