Aus 1001 Nacht – Islamische Lackkunst in deutschen Museen und Bibliotheken

Autor/en: Reingard Neumann
Verlag: Museum für Lackkunst
Erschienen: Münster 2009
Seiten: 256
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 35.–
ISBN: 978-3-930090259
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2009

Besprechung:
Spricht man von Lackkunst denkt fast jeder an Ostasien, an die technologisch und kunsthandwerklich einzigartigen japanischen Lackobjekte der Edo-Zeit (1615-1867) oder an die chinesischen Schnitzlacke, die ihren künstlerischen Höhepunkt während der Ming-Dynastie (1368-1644) hatten. Vor allem diese Schnitzlacke, bestehend meist aus einem Holzkern, auf dem eine aus oft hunderten hauchdünner Lagen bestehende, zentimeterdicke Lackschicht aufgebaut wurde, aus der dann phantastische Dekore, Drachen und Phönixe und ganze Landschaften, herausgearbeitet wurden, haben den Ruf ostasiatischer Lackkunst begründet. In seinen besten Exemplaren ist dieser Schnitzlack eine so aufwändige Technik, dass oft die Regierungszeit eines chinesischen Kaisers nicht ausreichte, seinen Auftrag auszuführen, was dann zu verwirrenden Signaturen führte. Über dieser Reputation und solchen Anekdoten wird meist vergessen, dass der dekorative Einsatz von Lack eine Errungenschaft ist, die sich keineswegs auf Ostasien beschränkt. Burma etwa hat eine bedeutende Lacktradition, vor allem aber sind hier Persien, Mogul-Indien und das Osmanische Reich zu nennen. Diesem von der Kunstwissenschaft nur wenig erforschten Gebiet, der islamischen Lackkunst, sind eine Ausstellung und begleitende Publikation des Museums für Lackkunst in Münster gewidmet (Ausstellung bis zum 21. Juni 2009). Aus hunderten von Objekten, die sich in zwei Dutzend deutscher Museen, Bibliotheken und Sammlungen erhalten haben wird eine repräsentative Auswahl von fast 150 Stücken gezeigt, beschrieben und – das ist hier besonders hervorzuheben – wissenschaftlich vorbildlich erschlossen. Das Buch ist eine vier Jahrhunderte überspannende Gesamtdarstellung islamischer Lackkunst, wie es sie bisher nicht gegeben hat. Und um es gleich vorwegzunehmen: Islamische Lackarbeiten gebrauchen, gemessen an ostasiatischen Lacken ein anderes Material, vor allem aber ein vollkommen anderes Verfahren. Während in China und Japan der Lack selbst als dreidimensionale Substanz (Schnitzlack) oder durch seine dekorative Behandlung mit Pigmenten, Goldstaub und anderen Zutaten das eigentliche Gestaltungsmittel ist, muss islamische Lackkunst stets in Verbindung mit der Malerei gesehen werden. Das Lackmaterial, gewonnen überwiegend aus afrikanischen Nadelholzgewächsen, ist dabei nicht schlichtes Überzugsmaterial, sondern Lack- und Malschichten werden vom Künstler je nach der beabsichtigten Wirkung in unterschiedlicher Folge aufgetragen. So verleiht der Lack den empfindlichen, wasserlöslichen Malschichten nicht nur den notwenigen Schutz, sondern auch eine Wirkung räumlicher Tiefe, ein Leuchten der Farben und den charakteristischen Glanz. Im Gegensatz etwa zum berühmten japanischen urushi, der von einem Laubbaum gewonnen wird und nahezu unverwüstlich ist, neigt das Material islamischer Lackarbeiten zur Versprödung, zur Craquelé-Bildung und zur Vergilbung. So präsentieren sich die Arbeiten gedunkelt mit einem stark gelblichen oder bräunlichen Erscheinungsbild. Die beabsichtigte starke Farbigkeit ging damit zwar verloren, doch gerade dieser gealterte Zustand macht den Reiz und die Ausstrahlung islamischer Lackarbeiten aus. Die Kehrseite ist, dass der Prozess irreversibel und damit kaum restaurierbar ist. Mit der Abnahme vergilbter Lackschichten würden unweigerlich einzelne Ebenen mit eingebetteter Malerei zerstört werden. Dieser komplexe Aufbau islamischer Lackarbeiten war lange Zeit ein Geheimnis, das erst in den letzten Jahren nach und nach entschlüsselt wurde. Die Zusammenfassung, Vermittlung und Vertiefung dieser Erkenntnisse sind eines der zentralen Themen des Buches und anhand der Objekte werden Arbeitsgänge und Dekortechniken eingehend erläutert und beschrieben. Durch die Verwendung von Gold oder von glänzenden, glitzernden oder farbig schillernden Materialien wie Perlmutt, durch Marmorierungstechniken oder durch die Ausbildung plastischer Strukturen erweist sich die Lackkunst als ein ungemein vielfältiges und ganz und gar eigenständiges Instrument dekorativer islamischer Kleinkunst, das zu Unrecht bislang im Schatten der Lackkunst Ostasiens stand. Ein weiteres Hauptthema des Buches ist die zeitliche Entwicklung dieser Kunst- und Dekorform. Während sich die Anfänge, als Lack noch ausschließlich zum Oberflächenschutz eingesetzt wurde, in der Zeit vor 1400 verlieren – ein Beispiel für diese Art der Verwendung sind frühe Reflexbögen, zu ihrer Zeit eine der wirkungsvollsten Waffen, bei denen Bemalung und Lackierung vornehmlich auch dem Schutz vor der Witterung dienten – entwickelte sich die eigentliche Lacktechnik etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts zuerst beim Bucheinband. Die anfänglich rein ornamentale Gestaltung der Einbände wurde dann rasch von der Miniaturmalerei beeinflusst, die mit der islamischen Lackkunst stets eng verbunden blieb. Szenen mit figürlichem Dekor, Menschen und Tiere in realen oder paradiesischen Landschaften, aufgrund eines Tabus zunächst in das Innere der Bücher verbannt, zierten seit dem 16. Jahrhundert auch den Einband. Über buchnahe Utensilien wie Federkästchen oder Schreibunterlagen eroberte sich die Lackmalerei allmählich weitere Bereiche, wie alle Arten von Behältnissen, Haushaltsgegenstände, Musikinstrumente, Spielkarten bis hin zu Möbeln und Wandvertäfelungen. Berühmtestes Beispiel für die letztgenannte Anwendung ist das Aleppo-Zimmer im Islamischen Museum in Berlin. Die stilistische Entwicklung folgte den allgemeinen Tendenzen, insbesondere auch dem zunehmenden Einfluss europäischer Mal- und Dekorstile. Auffällig ist, dass bei diesen säkularen Kleinkunstwerken das – im übrigen ohnehin umstrittene – islamische Bilderverbot als nicht existent erscheint. Ja mehr noch: So wie in Europa im 19. Jahrhundert freizügige Frauendarstellungen noch am ehesten als als orientalische Odalisken geduldet und geschätzt wurden, finden wir auf persischen Lackarbeiten europäische Liebespaare und Frauenakte. Schließlich werden, neben Sonderthemen wie das vielfach zu findende Sujet von Rose und Nachtigall oder der Übersetzung von Inschriften auf den vorgestellten Objekten auch die stilistischen und technischen Besonderheiten der Lackarbeiten aus Indien, aus Kaschmir und aus dem osmanischen Kulturraum eingehend behandelt. Mit dem eindrucksvollen Begleitbuch zu der schönen Ausstellung in Münster ist dem Museum für Lackkunst eine Publikation gelungen, die für lange Zeit das Standardwerk zur islamischen Lackkunst sein wird.

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