The Architecture of Yemen – From Yafi to Hadramut

Autor/en: Salma Samar Damluji
Verlag: Laurence King Publishing
Erschienen: London 2007
Seiten: 304
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 40.– engl.Pfund
ISBN: 978-1-85669-514-5
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2007

Besprechung:
Seit Jahrzehnten schon gehören zwei jemenitische Städte zum schützenswerten Weltkulturerbe der UNESCO: Sana´a, Perle des Orients, auch die „Unvergleichliche“ genannt, und Shibam, das Manhattan der Wüste. So unterschiedlich diese Städte auch sind, beide faszinieren durch ihre Wolkenkratzer, die sich, aus Bruchsteinen oder Lehmziegeln erbaut, sieben, acht oder neun Stockwerke in den südarabischen Himmel erheben. In Sana´a sind es die fantasievollen Hochhäuser mit weiß gekalkten Bändern und Ornamenten, die dieser Stadt und ihrer Architektur so ein unvergleichliches Erscheinungsbild geben, während die nach oben hin konisch zulaufenden Lehmbauten Shibams sich zu einer Stadtsilhouette vereinen, die im schroffen Gegensatz zur umgebenden Wüste zu stehen scheint, mit dieser aber dennoch durch die weichen Konturen des Baustoffs und dessen natürliche Sandfarben in einer harmonischen Wechselbeziehung steht. Die Architektur des Jemen ist weltweit einzigartig und blickt auf eine uralte Tradition zurück. Und wie stets in solchen Fällen war die Entwicklung dieser eigentümlichen Bau- und Lebensformen nicht Selbstzweck, sondern folgte natürlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen. Das klimatisch begünstigte, fruchtbare Südarabien bot schon immer vielen Menschen eine Lebensgrundlage, war also dicht besiedelt. Dennoch war der bebaubare Boden durch die geologischen Strukturen, durch schroffes Bergland und durch Hochwasser führende Wadis begrenzt und zu wertvoll für Siedlungsraum. So entwickelten sich städtische Strukturen dort, wo Landwirtschaft nicht möglich war, an steilen Berghängen oberhalb der terrassenförmig angelegten Felder, auf Felsplateaus, die sich aus den Wadis erhoben und an den schmalen Küstenstreifen des südarabischen Meeres. Und man baute dicht an dicht und Stockwerk über Stockwerk in die Höhe. Oft sind es nur zwei Räume pro Stockwerk, die vertikal geschichtet den Lebensraum für eine Großfamilie bilden. Diese außergewöhnliche, frühe städtische Zivilisation und architektonische Kultur ist natürlich nicht auf Sana´a und Shibam beschränkt, sondern sie ist eine Besonderheit des ganzen Jemen. So befasst sich denn auch der vorliegende Band über die Architektur des Jemen nicht mit den beiden als Weltkulturerbe immer wieder behandelten und vielfach abgebildeten Städten, sondern mit zahlreichen städtischen und dörflichen Zentren des südlichen Jemen. Es sind weniger bekannte und auch heute noch selten besuchte Orte in der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen, in einer Region, die im Altertum ihrer Fruchtbarkeit wegen „Arabia felix“ genannt wurde und die mit ihren harzreichen Bäumen Ausgangspunkt der antiken Weihrauchstrasse war, ähnlich wie die Seidenstrasse mehr ein Begriff als ein stets gleich verlaufender Handelsweg. In den Regionen Lahij, Shabwah und Hadramaut finden sich zahlreiche Städte, deren Struktur und Substanz – manche der Häuser sind bis zu 400 Jahre alt – bis zum Ende des 20. Jahrhunderts intakt geblieben ist. Die Autorin, selbst Architektin, hat diese oft entlegenen und, wie sie vorsichtig anmerkt, manchmal auch „unfreundlichen“ Regionen über einen Zeitraum von 20 Jahren bereist, studiert und architektonisch dokumentiert. Das Ergebnis ist ein Feldforschungsbericht, eine Studie über die Architektur des Jemen, wie es sie in dieser umfassenden und detaillierten Form bisher nicht gab. Die exakte Bauaufnahme einzelner Häuser, Beschreibungen, Pläne sämtlicher Stockwerke, Schnittzeichnungen, Fotos der Innenräume, die Darstellung von Details wie Nischen, Türen, Säulen oder Fenstergitter, lassen ein lebendiges Bild jemenitischer Architektur und Lebensweise entstehen. Dazu gehören die oft ganz persönlich gehaltenen Texte, die Erlebtes und Anekdotisches genauso enthalten wie Hinweise auf die komplexen, hochsensiblen und von unterschiedlichen Stammeskulturen geprägten Gesellschaften, die in diesen städtischen Strukturen leben. In Lahij sind es die Bergstädte Al Dali und Yafi. Die bis fünf Stockwerke hohen Häuser sind sorgfältig und kunstvoll aus Stein gemauert und geschichtet, wobei immer wieder die unterschiedlichen Farben der Steine bewusst als Dekorationsmittel eingesetzt werden. Decken aus Stein, gemauerte Nischen und abgetreppte Türmchen an den vier Ecken des Flachdaches, die so genannten tasharif, sind lokale Kennzeichen dieser Architektur. In den weiter östlich gelegenen Wadi-Landschaften von Shabwah und Hadramut dominieren hingegen die Lehmziegel und der aus einem Kalk-Vulkanstein-Gemisch bestehende Putz, qadat genannt, das Bild von Städten wie Bayhan und Habban bis zu den Küstenstädten Mukalla und Shihr. Der Reichtum jemenitischer Baukultur zeigt sich aber nicht nur in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der abgebildeten Häuser, ihrer Entwürfe und Typen, sondern auch in dem faszinierenden Glossar jemenitischer Gebäudebeschreibungen und sonstiger mit dem Bau verbundener Ausdrucke. Es ist unter anderem das Ergebnis von Interviews, die die Autorin mit Baumeistern und Handwerkern in allen Regionen geführt hat. Die so vermittelte Lebendigkeit dieser Tradition darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine extrem gefährdete Kultur handelt. Viele der Turmhäuser stehen heute leer und sind, vor allem, wenn es sich um Lehmziegelbauten handelt, einem raschen Verfall preisgegeben. Die Bewohner sind als Gastarbeiter in Saudi Arabien tätig oder sind dem Luxus und der Bequemlichkeit moderner Wohnbauten erlegen. Der Unterhalt und die Modernisierung der altjemenitischen Bausubstanz sind teuer, schwierig und von der einheimischen Bevölkerung, auch vom jemenitischen Staat kaum zu bewältigen. So ist das Buch nicht nur die Dokumentation eines außergewöhnlichen architektonischen Erbes, sondern auch ein Aufruf an die Weltöffentlichkeit, einzigartige Zeugnisse frühen Städtebaus und ökologischer Architektur zu bewahren.

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