Istanbul – The City and the Sultan

Autor/en: Marlies Kleiterp, Charlotte Huygens
Verlag: Stichting Winkel – De Nieuwe Kerk
Erschienen: Amsterdam 2006
Seiten: 176
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 29.95
ISBN: 90-78653-02-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2007

Besprechung:
Türkei und Europa. Seit Jahrhunderten ein Dauerbrenner in Geschichte und Politik. Ein erster Höhepunkt dieses Evergreens war der Versuch einer feindlichen Übernahme Europas durch die Osmanen, der in der Schlacht am Kahlenberge durch die vereinten österreichischen, sächsischen, bayerischen und polnischen Heere am 12. September 1683 heldenhaft abgewendet werden konnte. Aber auch Venedig, Russland und Ungarn hatten bis zum 18. Jahrhundert immer wieder massive militärische Probleme mit dem Expansionsdrang der Türken. Später wurde das Problem Türkei und Europa dann subtiler und verlagerte sich vom militärischen in den kulturellen Bereich. Dem zunehmenden Vorbildcharakter europäischer Kultur und Lebensart für die osmanischen Eliten im 19. Jahrhundert stand in Europa die durch Industrialisierung, Wohlstand und beginnenden Tourismus generierte Orientmode, der so genannte Orientalismus gegenüber. Die Verwestlichung der Türkei unter Kemal Atatürk seit 1923 und deren Umkehr, die zunehmende Islamisierung in jüngerer Zeit, bestimmten das 20. Jahrhundert. Mit der Beitrittsfrage hat das Thema Türkei und Europa am Anfang des 21. Jahrhunderts eine neue Dimension erreicht und das Problem, ob die Türkei Mitglied der Europäischen Union sein kann wird die Stammtische, Medien und vor allem die Politik noch lange in Atem halten. Was auch immer am Ende dieses Weges Europa und die Türkei erwartet, ein Näherrücken ist im Zeitalter der Globalisierung unvermeidlich und ein Kennenlernen notwendig. Dem dient eine Ausstellung (bis zum 15. April 2007) in der Nieuwe Kerk in Amsterdam und der dazu erschienene Katalog. Aktueller Anlaß zu diesem Event sind die nun fast 400 Jahre währenden Beziehungen zwischen den Niederlanden und dem Osmanischen Reich, die 1612 mit der Berufung des Cornelius Haga als Botschafter in Istanbul begonnen und sich seither stets intensiviert haben. Die Konzentration auf Istanbul und die in seinen Museen bewahrten Schätze ist dabei kein Nachteil und keine Beschränkung des Themas, denn das Osmanische Reich war extrem zentralistisch organisiert und Istanbul, der Hof des Sultans, war das uneingeschränkte Zentrum von Macht und Politik aber auch von Kultur, Lebensart und Kunst. Die Entscheidung Kemal Atatürks, Ankara zur Hauptstadt der modernen Türkei zu machen, hat daran nur wenig geändert. 262 Kunstwerke, die das ganze Spektrum osmanischer Kunst und Kultur repräsentieren, Koranhandschriften und Meisterwerke der Kalligraphie, keramische Wandverkleidung und Gefäße aus Iznik, bestickte Handtücher und Sultansroben, Teppiche und Kelims, Miniaturen, Gemälde und topographische Ansichten, reich verzierte Metallarbeiten aus Kupfer und Silber, Schätze und Juwelen aus dem Topkapi Palast werden gezeigt und beschrieben. Nicht alles davon ist türkischen Ursprungs. Kunstschätze und kunstgewerbliche Objekte, die auf Handelswegen in das Osmanische Reich gelangten, belegen die engen wirtshcfatlichen und kulturellen Beziehungen der Türkei nach Ost und West. So besitzt das Topkapi-Palastmuseum die weltweit größte Sammlung frühen chinesischen Porzellans, und hochwertige kunstgewerbliche Objekte aus dem Indien der Mogul-Kaiser, dem mamlukischen Ägypten, dem Persien der Safawiden und, seit dem 18. Jahrhundert auch aus Europa. Die Exponate konzentrieren sich nicht nur auf das 16. und 17. Jahrhundert, also die Blütezeit der osmanischen Kultur, sondern sie beziehen ganz bewusst die spätere Zeit mit ein und zeigen deutlich den stetig zunehmenden Einfluss Europas, der im 19. Jahrhundert, im so genannten „osmanischen Rokoko“ seinen Höhepunkt erreicht. Möbel, Kleidung und Gebrauchsgegenstände entfernen sich zusehends von der osmanisch-islamischen Tradition und übernehmen, durchaus nicht zu ihrem Vorteil, europäische Formen und Dekor. Aus heutiger Sicht erscheint dies als Signal für den drohenden Untergang des Osmanischen Reiches. Der Prozess schritt fort und auch in der Türkei von heute haben „visual art“ und „industrial design“ die Rolle der traditionellen Künste übernommen. Dem Katalogteil vorangestellte Essays befassen sich mit den Verbindungen zwischen der Türkei und Holland, mit der geschichtlichen Entwicklung von Istanbul, das mit seinem Namen auch sein Gesicht und seine Bedeutung mehrfach wandelte, mit den Schätzen des Topkapi-Palast und vor allem mit der Besonderheit und Einzigartigkeit der osmanischen Architektur, die bis heute das Stadtbild prägt. Ein schöner und sehr aktueller Katalog.

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