The Cultural Monuments of Tibet – The Central Regions

Autor/en: Michael Henss
Verlag: Prestel Verlag
Erschienen: München London New York 2014
Seiten: 880 in zwei Bänden
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag im illustrierten Schuber
Preis: € 148,00
ISBN: 978-3-7913-5158-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2014

Besprechung:
Natürliche aber auch von Menschen errichtete Barrieren haben von jeher die Erforschung des Dachs der Welt, die Entdeckung und Dokumentation der Kultur und Kunst Tibets erschwert und stets zu einer Art Abenteuer gemacht. Die höchsten Gebirgsketten der Welt, Himalaya, Karakorum und Kuenlun, das von ihnen umschlossene Hochland von 3.500 bis über 5.000 Metern, schneebedeckte Pässe, Sumpfgebiete und menschenleere Einöden haben es bis zum 19. Jahrhundert nur wenigen Abenteurern, Missionaren und Forschern ermöglicht, dorthin zu gelangen und einige haben es mit ihrem Leben bezahlen müssen. Als sich dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Aufteilung der Welt im Zuge von Nationalismus und Kolonialismus zum nationalen Prestigeobjekt wandelte, geriet Tibet in den Dunstkreis des Great Game und wusste sich zu wehren, indem es jedem Ausländer den Zugang untersagte. Sven Hedin oder Alexandra David-Neel haben darüber anschaulich berichtet. Erstmals in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts konnte dann durch den italienischen Tibetologen Giuseppe Tucci und den Briten Hugh Richardson mit ernsthafter Feldforschung in Tibet begonnen werden, bis diese 1949 von der Annexion Tibets durch Maos Rote Armee abrupt unterbrochen wurde; Tibet wurde erneut (bis 1979) zur terra incognita. Was in jenen dreißig Jahren während der sogenannten Kulturrevolution dort geschah, ist unfassbar und mit der Zerstörung einer in die tausende gehenden Zahl von Klöstern und Tempeln und der Vernichtung und dem Raub unschätzbarer Kunst- und Kulturschätze nur nach dem Symptom aber nicht nach dem Leid eines ganzen Volkes zu beschreiben.

Michael Henss, Historiker und Archäologe, war wohl der erste westliche Wissenschaftler, der 1980, kurz nach der Öffnung Tibet besuchte und – wie so viele in den Jahrhunderten vor ihm – der Faszination dieses unvergleichlichen Landes erlag. Sein bereits 1981 publiziertes Buch über die Kulturdenkmäler Tibets war nicht nur ein „Grundstein für weitere, vertieftere Studien“, es war ein Meilenstein der Tibetliteratur, auch wenn Henss damals nur ein gutes Dutzend Objekte vorstellen konnte, die dem Zerstörungswahn entkommen waren. Heute, 33 Jahre später, nach 24 ausgedehnten Forschungsreisen und dem gezieltem Studium tibetischer und chinesischer Quellen, legt Michael Henss mit dem zweibändigen „Cultural Monuments of Tibet“ sein Opus Magnum vor, das allerhöchste Bewunderung verdient. Es ist das umfassende „Handbuch“, von dem Michael Henss seit seinem ersten Besuch Tibets geträumt und an dem er seither gearbeitet hat. Aus den damals publizierten Dutzend Kulturdenkmälern sind etwa zwölf Dutzend geworden und das trotz der Beschränkung auf die klassischen Provinzen „Ü“ und „Tsang“ in Zentral- und Südtibet. Dass Henss die erhalten gebliebenen „highlights“ der tibetischen Kultur, den Jokhang-Tempel im Zentrum des alten Lhasa, den Potala-Palast und Winterresidenz der Dalai Lamas, die Klöster und Tempel von Shigatse, Shalu und Sakya und die Stupa der zehntausend Buddhas, den berühmten Kumbum in Gyantse ebenso beschreibt wie die teilweise aus Trümmern und Ruinen wieder entstandenen großen Klosterstädte Ganden, Sera und Drepung im Dunstkreis der Hauptstadt Lhasa bedarf hier der Erwähnung nur deshalb, weil neben geschichtlichen Fakten und Architektur auch die Ausstattung dieser Monumente mit Wandmalereien, Skulpturen und Kunsthandwerk breiten Raum findet. Darüber hinaus sind es die weniger bekannten Monumente und ihre verborgenen Schätze, die das Werk zum unverzichtbaren Handbuch machen und es über alles bisher publizierte weit hinausheben. Nyethang etwa, ein kleiner Lhakhang am Highway zwischen Flughafen und Lhasa, an dem täglich hunderte von Touristenbussen vorbeirasen, ist dem Andenken an den großen indischen Religionslehrer Atisha (982-1054) gewidmet und kann mit Skulpturen aus Lehm und Bronze aus dem 11. und 12. Jahrhundert aufwarten. Drak Yerpa, ein hoch in den Bergen zwischen Wacholder und Rhododendron versteckter Meditationsplatz mit Höhlenheiligtümern in denen schon Songtsen Gampo, der erste historische König Tibets, meditiert haben soll, gehört zu diesen Plätzen oder das Kloster Mindroling in einem Seitental des Yarlung Tsampo mit den 20 lebensgroßen Repoussé-Figuren des 16. Jahrhunderts, die zu den bedeutendsten Meisterwerken buddhistischer Skulptur in Tibet zählen. Die Stupa von Chung Riwoche am Oberlauf des Yarlung Tsampo, bis vor wenigen Jahren nur über eine von dem berühmten Lama und Brückenbauer Thangton Gyalpo im Jahre 1436 konstruierte Eisenkettenbrücke zu erreichen, mag hier ebenso erwähnt werden, wie die bis zu 50 Meter hohen Türme in einer schwer zugänglichen Region in Kongpo, deren Alter und Zweck bis heute nicht enträtselt ist. Diese wenigen Hinweise mögen als Beispiele für die Fülle des Gebotenen stehen, doch drei ganz besondere Monumente, Juwelen tibetischer Kunst, die Michael Henns in seinem Buch eingehend beschreibt, müssen zuguterletzt noch erwähnt werden, denn ohne sie wäre der Reigen kultureller Monumente Tibets nicht komplett: Der kleine Tempel von Drathang entging der Zerstörung durch die Roten Garden nur, weil er als Kornspeicher genutzt wurde. Die so erhaltenen, eindrucksvollen Wandmalereien aus dem späten 11. Jahrhundert zeigen einen frühen Stil mit Elementen aus Indien und Zentralasien. In Yemar, einem weitgehend zerstörten Tempel im Chumbi Tal südlich von Gyantse, hat sich eine Ensemble von Lehmfiguren aus der Mitte des 11. Jahrhunderts erhalten, die ähnlich wie die Wandmalereien von Drathang ein Schlüssel für die Entstehung der tibetischen Kunst sind. Und last not least: Im Keru Lakhang des wohl ältesten Klosters Tibets in einem entlegenen Nebental des Yarlung Tsampo haben sich die ältesten monumentalen Lehmfiguren Tibets erhalten. Vermutlich aus dem 8./9.Jahrhundert repräsentieren sie den Stil aus der Zeit der Yarlung Dynastie. Aber es ist nicht nur das ehrwürdige Alter, das hier fasziniert. Trotz der immer wieder erneuerten Bemalung wurde die von diesen Bodhisattva-Skulpturen ausgehende Ausstrahlung von Weisheit, Demut und Erleuchtung später niemals wieder erreicht. 1250 Abbildungen begleiten und illustrieren den Text. Dabei sind es vor allem die zahlreichen Gegenüberstellungen historischer und neuzeitlicher Aufnahmen, die schmerzhaft bewusst machen, dass die heute noch vorhandenen kulturellen Monumente Tibets nur einen Bruchteil dessen darstellen, was einst gewesen ist.

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