Unbekanntes Afghanistan – Seine Landschaft, seine Menschen

Autor/en: Roland und Sabrina Michaud
Verlag: Knesebeck Verlag
Erschienen: München 2002
Seiten: 256
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: EUR 49.–
ISBN: 3-89660-133-4
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Die von Jahr zu Jahr anwachsende Flut großformatiger Bildbände auf Hochglanzpapier zeigen eine Welt wie sie sich die Menschen wünschen, idealisiert, geschönt und ohne Blick auf das Dunkle und Böse. Sie befriedigen ein Bedürfnis, das nicht allein durch den weltweiten grenzenlosen Tourismus geweckt wurde, sondern in gleicher Weise durch die omnipräsente globale Information, die sich jeder Katastrophe, jedes Unglücks und jedes Krieges bemächtigt und nachhaltig dazu beiträgt, die Vorstellung einer heilen Welt zu zerstören, wie sie die schönen Bücher illusionistisch vorgaukeln. Das ferne Afghanistan hat in jüngster Zeit einen Spitzenplatz unter den Lieferanten von Schreckensnachrichten eingenommen, den Nachrichten von Krieg und Terror, von Blut und Bomben, von Tod und Verstümmelung. So kann sich ein Bildband über Afghanistan breiten Interesses sicher sein. Das vorliegende Buch der französischen Reisefotografen Roland und Sabrina Michaud ist dieses Interesses in besonderem Maße wert, zeigt es doch ein Bild einer untergegangenen Welt. Das Buch mit Aufnahmen von Reisen zwischen den Jahren 1964 und 1978, bevor Afghanistan in einem nicht enden wollenden Strudel aus Eroberung, Bürgerkrieg und Terror versank, ist Mahnmal und Appell zugleich, ein Mahnmal gegen das Böse und eine Aufforderung, an die Tradition anzuknüpfen. Die eindrucksvollen Fotos, ergänzt durch einen einleitenden, poetischen Essay von André Velter, bieten einen Blick auf eine faszinierende orientalische Welt der Gegensätze, auf endlose Wüsten und schroffes Hochgebirge, auf liebliche Oasen und verschneite Dörfer, einen Blick vor allem auf das Leben der stolzen Bewohner Afghanistans. Eine baktrische Kamelkarawane im Morgengrauen, eine Turban tragende Menge, die begeistert einen Hahnenkampf verfolgt, verwegene Reiter beim buskaschi-Spiel, dem Kampf um den Ziegenbalg, ein turkmenischer Brautzug, paschtunische Tänzer im Schnee – das sind unvergessliche Bilder aus einer Zeit, die längst vergangen scheint und doch nur wenige Jahrzehnte zurückliegt. Von herausragender Qualität sind vor allem die zwei Dutzend Portraits von Männern und Frauen, von Paschtunen, Turkmenen und Usbeken, von Beludschen, Kirgisen und Tadschiken, die die Schönheit und den Stolz dieser Menschen zeigen ebenso wie die ethnische Vielfalt des afghanischen Volkes. Doch trotz der landschaftlichen Gegensätze und der von Stamm zu Stamm unterschiedlichen Sitten und Mentalitäten waren die Afghanen eine Nation, der es über Jahrhunderte immer wieder gelungen ist, Feinden und Eroberern einheitlich, entschlossen und kampfstark gegenüberzutreten. Bürgerkrieg, nicht bloße Stammesfehden, wie es sie stets gegeben hat, eine groteske ideologische Indoktrination und, in deren Folge, Terror und Krieg, haben das Land und die nationale Einheit in wenigen Jahrzehnten zerstört und den Menschen unendliche Not gebracht. In solcher Zeit ist es wichtig, sich an die Vergangenheit zu erinnern, um aus solchen Bildern Kraft und Energie für einen Neuanfang zu gewinnen. Diese Bilder sind, wie André Velter schreibt, ein wertvoller, unzerstörbarer Schatz Afghanistans und es wäre zu wünschen, daß dieses Buch nicht nur im Westen Verbreitung findet, sondern auch in Afghanistan selbst. Dem gemarterten Land könnte dieser Blick auf eine alte und reiche Tradition und die bezwingende Kraft der ausdrucksstarken Bilder Ansporn und Hilfe beim Aufbruch in die Zukunft sein. Ein verlegerisches Projekt als Entwicklungshilfe? Warum nicht – das Buch hat das Zeug dazu. (- mb -)

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