Das Ornament in der Baukunst des Islam

Autor/en: Dominique Clévenot, Gérard Degeorge
Verlag: Hirmer Verlag
Erschienen: München 2000
Seiten: 224
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: DM 148.–
ISBN: 3-774-8690-6
Kommentar: Michael Buddeberg

Besprechung:
Das Buch beginnt mit der Vorstellung von vier Monumenten islamischer Baukunst, wie sie verschiedener kaum sein können: Der Felsendom in Jerusalem, das älteste islamische Bauwerk, das in seiner ursprünglichen architektonischen Gestalt die Jahrhunderte überdauert hat, besitzt einen Zentralgrundriß, wie er sonst dem islamischen Sakralbau fremd ist. Die Alhambra, Festung, Garnison und Palaststadt in einem, Krönung der hispano-maurischen Architektur aus dem 14. Jahrhundert, erschließt sich erst durch die Gestaltung des Inneren, der intimen Höfe vor allem. Die Schahmosche in Isfahan, erbaut unter Schah Abbas I im 17. Jahrhundert bezieht ihre visuelle Kraft aus einem verschwenderischen farbigen Dekor, der alle sichtbaren Flächen überzieht. Das Taj Mahal schließlich, jener steingewordene Liebesbeweis Schah Jahans an seine geliebte Gemahlin Arjumand Banu Begum, verdankt seinen Ruhm der weißen Marmorverkleidung, die das gesamte Bauwerk bedeckt, den Inkrustationen mit Halbedelsteinen und der vollendeten Harmonie der Proportionen. Über ein Jahrtausend schufen die verschiedensten Völker vom Atlantik im Westen bis zum Indus im Osten eine Architektur, die pauschal als „islamisch“ bezeichnet wird und die doch so viele Gesichter hat. Und dennoch: Trotz aller historischen und regionalen Unterschiede zeichnet sich eine Einheitlichkeit ab, die auf denselben Techniken, Themen, künstlerischen Prinzipien und den ähnlichen ästhetischen Vorlieben beruht. Die verbindende Klammer ist der Islam, hier nicht nur verstanden als Religion, sondern auch als Gesellschaftsentwurf, als Denkweise, ja als philosophisches System. Dieses spezifisch islamische in der Baukunst ist die überragende Rolle des Ornaments, und der Schlüssel hierfür ist die Bilderfeindlichkeit des Islam. Schon frühzeitig haben islamische Rechtsgelehrte ihrem Mißtrauen gegenüber Bildern Ausdruck verliehen. Dabei stützten sie sich auf die Interpretation bestimmter Koranverse, vor allem aber auf einige Hadithe, Aussprüche des Propheten, aus denen sie ableiteten, daß die Darstellung von Menschen und Tieren dem göttlichen Willen widerspreche und deshalb verdammenswert sei. Für die muslimischen Juristen kam das Abbilden eines Lebewesens dem Versuch gleich, den göttlichen Schöpfungsakt nachzuahmen. Und das sei auch der Grund, warum „die Engel kein Haus beträten, in dem sich eine bildliche Darstellung befinde“, wie ein Hadith überliefert. Es liegt nahe, hier den Ursprung für die Bedeutung des Ornaments in der islamischen Baukunst zu sehen. Die prachtvoll illustrierte Monographie über das Ornament in der Baukunst des Islam folgt einem interessanten didaktischen Prinzip: Je mehr sich der Blick vom Ganzen dem Detail zuwendet, vom Bauwerk zum Dekor, umso mehr erschließt sich die Einheit der islamischen Architektur. So führt der Weg von den Meisterwerken islamischer Baukunst über die Materialien und Techniken des Bauschmucks – Mosaik, Stuck, Ziegel und Keramik – schließlich zu den Motiven des Dekors und hier zu den immer wiederkehrenden Themenbereichen, die für die gesamte islamische Welt Geltung haben und eine Art gemeinsamen Nenner für die meisten Bauten des Islam bilden: die Vegetation, die Geometrie und die Schrift. Die Kunst der Arabeske und die Mathematik der Geometrie werden übertroffen nur noch durch die Kalligraphie als das augenfälligste und am meisten charakteristische Motiv islamischer Ornamentik. Die Begeisterung für die Schrift ist eines der fundamentalen Merkmale der islamischen Kultur, analog etwa zur Bilderfreundlichkeit der christlichen Kunst. So ist die Schrift für den Islam auch nicht bloßes, von Menschen erfundenes Hilfsmittel, sondern ein Geschenk Gottes, das auf die im Himmel verwahrte Urschrift des Koran zurückgeht. Die Schrift erweist sich damit in der islamischen Architektur als das kraftvollste Element, da sie für jeden Muslim, gleichgültig, ob er des Lesens kundig ist oder nicht, das Sinnbild seiner Religion schlechthin darstellt. Und so ist schließlich der kalligraphische Dekor das Element, das den Felsendom, die Alhambra, die Schahmoschee und das Taj Mahal verbindet. Das Buch des Kunsthistorikers Clévenot, Professor an der Universität von Toulouse, enthält eine Fülle von Ideen, Anregungen, Thesen und Erklärungsversuchen über die spezifische islamische Formensprache, über die Kunst der Fläche, deren Aufzählung allein schon den Rahmen dieser Besprechung sprengen würde. Nur eine faszinierende Überlegung soll hier Erwähnung finden: Es ist dies die verblüffende Verwandtschaft des Architekturdekors mit der islamischen Textilkunst. Das beginnt mit der ornamentalen Verwendung des Ziegels in der zentralasiatischen Architektur, die offensichtlich von der Webkunst inspiriert wurde. Weiter scheinen die königlichen Teppichmanufakturen von Schah Abbas I direkt die Vorlagen für die Fayencemosaiken seiner Prachbauten in Isfahan geliefert zu haben. Und der mit Marmoreinlagen geschmückte Fußboden im Mausoleum des I’timad ad-Daula in Agra ahmt exakt die Teppiche des Moghulzeit nach, während kunstvoll durchbrochene Marmorgitter indischer Paläste das Bild bestickter Schleier wiedergeben. Diese Beispiele des Transfers textiler Modelle in die Techniken des ornamentalen Bauschmucks lassen sich beliebig und für alle Zeiten und alle Regionen vermehren. Die Erklärungen hierfür sind vielfältig und reichen von der „textilen Mentalität“ der islamischen Kultur bis zur These, daß die islamische Architektur durch ihren teppichartigen Wandschmuck selbst noch mitten im gebauten Raum der Städte die Erinnerung an die Mobilität des Nomadenlebens bewahrt hat. (- mb -)

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