Zwei Bücher zur Türckischen Cammer in Dresden

Autor/en: Holger Schuckelt
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Kommentar: Michael Buddeberg, April 2010

Besprechung:
Holger Schuckelt, Die Türckische Cammer – Sammlung Orientalischer Kunst in der kurfürstlich-sächsischen Rüstkammer Dresden, Sandstein Verlag, Dresden 2010, 384 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 39.90, ISBN 978-3-940319-89-0

Holger Schuckelt, Türckische Cammer – Orientalische Pracht in der Rüstkammer Dresden, Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2010, 134 Seiten, Softcover, € 24.90, ISBN 978-3-422-06913-8

Die Sammlungen türkischer Trophäen, etwa in Wien und Budapest, in Krakau, Moskau und Karlsruhe kennt man in der Regel unter dem Begriff „Türkenbeute“. In der Tat handelt es sich dabei fast ausschließlich um Kriegsbeute, überwiegend aus dem glorreichen Sieg des christlichen Entsatzheeres über die Truppen Sultan Mehmeds IV vor Wien am 12. September 1683. Im türkischen Schatz der Dresdner Rüstkammer fehlen solche Beutestücke fast vollständig. Der Grund liegt nicht in vornehmer Zurückhaltung der an der Schlacht beteiligten Sachsen, sondern an dem Befehl ihres polnischen Königs in den Stellungen zu bleiben, da er einen nächtlichen Gegenangriff der Türken befürchtete, während alle anderen Truppenteile erfolgreich das Türkenlager plünderten. So brachten die Sachsen von der Schlacht am Kahlenberge neben einigen wenigen erbeuteten Waffen nur sechs osmanische Kanonen, mehrere Zelte und einen Elefanten mit nach Dresden, der aber bald darauf starb. Die einen Teil der Rüstkammer bildende „Türckische Cammer“ in Dresden ist vielmehr das Resultat einer Generationen übergreifenden Sammelleidenschaft sächsischer Kurfürsten vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. Bereits unter Sultan Süleyman „dem Prächtigen“ (1495-1566) begann die Expansion der Osmanen in den Südosten Europas. Sie sorgte nicht nur für einen fast zwei Jahrhunderte währenden osmanisch-habsburgischen Grenzkonflikt, sondern auch für die Herausbildung einer von Hof zu Hof mehr oder weniger ausgeprägten Türkenmode. Sachsen, nicht unmittelbar von den Osmanen bedroht, doch durchaus im indirekten Einflussbereich des Osmanischen Reiches gelegen, nahm hier eine Sonderstellung ein. Der „Türke“ verkörperte am Dresdner Hof weniger die Funktion des Bösen, sondern wurde vielmehr zum Objekt schwärmerischer Bewunderung und Verehrung. Spätestens unter Kurfürst August von Sachsen (1526-1586) gelangten türkische Prunkwaffen als diplomatische Geschenke in die Rüstkammer und wurden Grundlage eines immer reicher werdenden Bestandes, den vor allem Kurfürst Friedrich August I von Sachsen „der Starke“ (1670-1733) durch gezielte Ankäufe in Istanbul weiter vermehrte. Freilich war die schon 1595 erstmals erwähnte und später wiederholt inventarisierte Türckische Cammer kein musealer Bestand, sondern wurde als Gebrauchssammlung und Requisitenkammer für türkische Feste, Aufzüge, Fastnachtsveranstaltungen, Prunkhochzeiten und Opernspektakel verstanden. Der Bedarf an orientalischen bzw. orientalisierenden Gewändern, Reitzeug und Waffen zur Ausstaffierung der Teilnehmer derartiger Festivitäten war groß und Vieles wurde daher verbraucht, verschlissen, von Motten zerstört, verschenkt und verkauft. Gleichwohl ist die Türckische Cammer in Dresden aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte, ihres Reichtums und ihrer Vielfalt weltweit eine der bedeutendsten Sammlungen ihrer Art. Seit März 2010 ist sie im Residenzschloss in Dresden zusammen mit Grünem Gewölbe, Kupferstichkabinett und Rüstkammer als die prachtvolle Inszenierung der Macht eines bedeutenden europäischen Fürstenhofes von der Hochrenaissance bis zum Spätbarock auf einzigartige und suggestive Weise erlebbar. Zu diesem Anlass erschienen zwei Bücher von Holger Schuckelt, dem Oberkonservator der Türckischen Cammer, die dasselbe Thema auf ganz unterschiedliche Art und Weise behandeln. Da ist einmal der vollständige, wissenschaftliche Sammlungskatalog, der nicht nur alle 368 Objekte der Sammlung sorgfältig abbildet und minutiös beschreibt, sondern darüber hinaus in fünf umfangreichen, glänzend recherchierten Kapiteln die Geschichte der Sammlung in ihrem historischen Kontext erzählt. Von der Eroberung Konstantinopels am 29. Mai 1453 und deren Folgen für Europa bis zur Verschleppung der orientalischen Waffen durch die sowjetische Trophäenkommission nach Leningrad im Jahre 1945 und ihre glückliche Rückkehr nach Dresden im Jahre 1958, ist das Schicksal der Sammlung das Bindeglied zwischen Türkenkrieg und Türkenoper, Kampfgetümmel und Fastnachtsspektakel, zwischen Diplomatie und Ränkespiel, Sammelleidenschaft und Prestigedenken und Anlass für zahlreiche Geschichten und Anekdoten, die sich mit einzelnen Objekten verbinden. Das andere Buch, der schmalere Band über die Orientalische Pracht in der Rüstkammer Dresden ist nun nicht, wie man denken könnte, eine abgespeckte Version des Sammlungskataloges, sondern verfolgt ein völlig anderes Konzept. Hier steht nicht die chronologische Geschichte der Auseinandersetzung Europas mit dem Osmanischen Reich als Nukleus einer Sammlung im Mittelpunkt, sondern eine Auswahl von 58 „Meisterwerken“. Es sind die spektakulärsten, bedeutendsten und schönsten Objekte der Türckischen Cammer, die hier fotografisch noch wirkungsvoller und detailreicher als im großen Katalog in Szene gesetzt werden. Die knappe Darstellung der Geschichte der Sammlung in einem einführenden Kapitel bildet nur den Auftakt für die Präsentation der Objekte. Diese sind dann auch nicht nur streng wissenschaftlich beschrieben, sondern erzählen kleine, faszinierende Geschichten, berichten Details über die Entwicklung des Osmanischen Reiches, über die Phasen seiner Auseinandersetzung mit den europäischen Fürsten, über die Pracht der Repräsentation in Konstantinopel und über die große Faszination und gleichzeitige Furcht vor der Macht des türkischen Sultans im Westen. So gerät jedes der 58 Meisterwerke zu einem abgeschlossenen, kleinen Essay, das dem Leser die faszinierenden Gegenstände nahe bringt, sei es den komplizierten und wirkungsvollen osmanischen Reflexbogen, ein einzigartiges Gewehr mit kombinierten Schnapp- und Luntenschloss, die von einem Prager Goldschmied hergestellte Prunkwaffengarnitur für Ross und Reiter oder die vier ledernen Faltbechern, weltweit die einzigen ihrer Art, um hier nur einige wenige der seltenen und prachtvollen Objekte zu nennen. So haben beide Bücher ihre ganz besonderen Vorzüge und fast könnte man sagen, sie ergänzen sich aufs Beste.

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