Biscuit – Refined Chinese Famille Verte Wares

Autor/en: Luisa Vinhais, Jorge Welsh (Hrsg)
Verlag: Jorge Welsh Books
Erschienen: London 2012
Seiten: 240
Ausgabe: Hardcover
Preis: GBP 120,00
ISBN: 978-0-9557432-9-0
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2012

Besprechung:
Jedenfalls bis zu den revolutionären Veränderungen am Anfang des 20. Jahrhunderts haben die konfuzianischen Literaten und Beamtengelehrten als geistige Eliten das kulturelle und politische Leben in China maßgeblich bestimmt. Sie bildeten das kontinuierliche Element, das trotz der Abfolge unterschiedlichster Herrscherdynastien die Fiktion eines über alle Wirren hinweg existierenden Kaiserreiches rechtfertigt. Ganz besonders gilt das für einen Zeitraum im 17. Jahrhundert als sich die Ming-Dynastie (1368-1644) in Aufstand, Revolution und Chaos auflöste und die nomadisch-barbarischen Mandschuren die Qing-Dynastie (1644-1911) begründeten. Unter dem schwachen und unfähigen Ming-Kaiser Tianqi (1621-1627) ebenso wie unter seinem Nachfolger Chongzhen waren Krise und Verfall nicht mehr aufzuhalten. Literaten und Beamtengelehrte verloren Amt und Stellung und zogen sich in ihren Studios und Pavillons in eine innere Migration zurück, aus der heraus sie dem Start der Mandschu-Dynastie wichtige kulturelle Impulse gaben. Nicht von ungefähr widmet sich die Literatur jener Zeit neuen, volkstümlichen Stoffen, und in den reduzierten aber technisch vollendeten Möbeln der späten Ming-Zeit zeigt sich ein von neuer Ästhetik und Schlichtheit geprägter Lebensstil. Auch auf die Gestaltung des für Chinas Ökonomie so wichtigen Porzellans nahmen die Beamtengelehrten Einfluss. Durch den Wegfall der kaiserlichen Aufträge gerieten die Manufakturen der Porzellanmetropole Jingdezhen in eine ernste wirtschaftliche Krise, aus der nur neue Absatzmärkte herausführen konnten. Mit den Literati und einem erstarkenden Bürgertum als Käufer wandelten sich Stil und Dekor des Porzellans. Nicht mehr die konservativen, symbolbesetzten Muster aus Fauna und Flora waren en vogue, sondern Landschaften sowie Szenen aus dem täglichen Leben, aus der Literatur, aus Mythos und Legende. Diese „transitionale“ Zeit von ca. 1620 bis 1680 war so auch eine Zeit der Innovation, die nicht nur stilistische sondern auch technische Neuerungen hervorbrachte, die dann unter dem ersten großen Manchu-Kaiser Kangxi (reg. 1662-1722) für einen neuen Boom der Porzellanöfen in Jingdezhen sorgten. Zu diesen Neuerungen gehört die Farbpalette des Porzellans der famille verte als chinesische Antwort auf das im Westen so erfolgreiche polychrome japanische Porzellan. Eine ebenso seltene wie liebenswerte Spielart dieses famille verte Porzellans sind kleine, frei gestaltete Objekte, deren Emailfarbendekor nach dem ersten Brand unmittelbar auf das Rohporzellan, genannt „Bisquit“, aufgetragen wurde. Kleine Trinkschalen mit Drachenhenkeln, Pinselwaschgefäße, Teekannen in Tierform, Räucherstäbchenhalter, Ablagen für Pinsel, und Figürchen himmlischer und irdischer Wesen lassen vermuten, dass diese charmanten Kleinigkeiten neben Tusche, Reibstein, Pinsel und Papier den Tisch des Literaten geziert haben, der seine Freude daran hatte. Diese Freude an solchen Nutzlosigkeiten ist international und so waren diese Bisquits der famille verte, meist neben der kommerziellen Ware, als private Fracht auch Gegenstand europäischer Importe aus China im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, wie es Inventare und Kupferstiche von Porzellankabinetten in Palästen und Schlössern ebenso belegen wie auch frühe Auktionskataloge. Zusammenfassende Untersuchungen und Literatur zu diesen Bisquitporzellanen der famille verte gab es bisher nicht. Das von den in London und Lissabon aktiven Porzellanexperten Jorge Welsh und Luisa Vinhais herausgegebene Buch mit der Beschreibung und Abbildung von nicht weniger als 63 dieser Bisquits – Begleitbuch zu einer Ausstellung in der Londoner Galerie von Jorge Welsh, der ersten ihrer Art – füllt daher eine echte Lücke und es füllt sie mit dem Text- und Katalogteil perfekt und gründlich. Die hervorragenden fotografischen Wiedergaben, oft aus unterschiedlichen Blickrichtungen, ergänzt um Detailaufnahmen aus allernächster Nähe, vermitteln weitgehend den Eindruck des Originals. Auch der begleitende Text lässt keinen Wunsch offen: Im ersten Kapitel werden die Bisquit-Waren der famille verte aus ihrer ästhetischen und technischen Besonderheit definiert, in ihren historischen Kontext, also in die transitionale und die frühe Kangxi-Zeit gestellt und von verwandten Gruppen, beispielsweise dem blanc de chine oder dem Steinzeug aus Yizing abgegrenzt. Hier ist es vor allem die besondere Farbpalette, die dieses Porzellan unverwechselbar macht, die Kombination aus grün, gelb und aubergine, das sancai genannte Farbentrio, das in den Glasuren der Grabfiguren der Tang-Dynastie wurzelt, in der Baukeramik der Mingzeit wiederkehrt und nun in den Bisquitwaren der famille verte einen edlen Höhepunkt auf Porzellan erfährt. Der so genannte egg-and-spinach-Dekor, der die drei typischen Farben mit Weiß zu einem dekorativen fleckig-asymmetrischen Muster kombiniert, ist dabei besonders reizvoll und in Katalog und Ausstellung mit vielen Beispielen vertreten. Kapitel zwei erweitert den Blick und erläutert den Prozess der Herstellung von Porzellan in Jingdezhen mit detaillierten Beschreibungen aus Briefen des Jesuiten Francois Xavier d´Entrecolles aus den Jahren 1712 und 1722 in Kombination mit einer von Kaiser Qianlong in Auftrag gegebenen Illustrationsserie. Kapitel drei widmet sich der damaligen Präsenz dieser Stücke in Europa, wobei neben den bereits erwähnten Inventaren, Kupferstichen und Auktionskatalogen auch der Bestand dieser Bisquit-Porzellane in der Sammlung August des Starken in Dresden und in den Frachten gesunkener und später geborgener Handelsschiffe analysiert wird. Eine Renaissance dieser Bisquit-Porzellane und seltene Variationen der famille jeaune und famille noir werden im vierten und letzten Kapitel erörtert. Das Resumé der Herausgeber, mit diesem allerersten Buch zum Thema erst den Anstoß für weitere Forschungen auf diesem Gebiet geben zu wollen, ist allzu bescheiden; das Buch über die Bisquit-Porzellane der famille verte ist ab sofort das Standardwerk zu dieser seltenen und liebenswerten Gruppe chinesischen Porzellans.

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