Der Goldschatz von Arzan – Ein Fürstengrab der Skythenzeit in der südsibirischen Steppe

Autor/en: Konstantin V. Cugunov, Herrmann Parzinger, Anatoli Nagler
Verlag: Schirmer/Mosel
Erschienen: München 2006
Seiten: 144
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Schmuckschuber
Preis: € 49.80
ISBN: 3-8296-0260-X
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2006

Besprechung:
Man ist geneigt, Herodots Schilderung des Begräbnisrituals skythischer Könige als phantastische Übertreibung zu werten: „Dann tötet man eines seiner Weiber, seinen Weinschenken, seinen Koch, Pferdeknecht, Leibdiener, Boten, ferner seine Pferde, die Erstlinge alles anderen Viehs und begräbt sie in dem weiten Raum der Grube, der noch leer ist; ebenso auch goldene Schalen, denn Silber- und Erzgeräte nehmen die Skythen dazu nicht. Darauf türmen sie einen großen Grabhügel und suchen ihn so gewaltig wie möglich zu machen.“ Moderne Archäologie hat diese Schilderung als präzise Geschichtsschreibung bestätigt. Und noch viel mehr: Der 50-55jährige skythische Fürst aus dem Kurgan „Arschan 2“ starb an Prostatakrebs und aufgrund des von Metastasen vollkommen zersetzten Knochenmaterials dürfte er die letzten Jahre seines Lebens nur mehr unter qualvollen Schmerzen auf einer Bahre liegend verbracht haben. Jedenfalls war er sicher nicht mehr in der Lage, seinen schweren, mit Tausenden von goldenen Panthern besetzten Umhang zu tragen, ganz im Gegensatz zu seiner etwa 20 Jahre jüngeren Frau, die mit ihm die Grabkammer teilen musste, geschmückt mit einem fast identischen Umhang. Mittels dendrochronologischer Analysen der Lärchenstämme der Grabkammer kann das Fürstengrab verlässlich an das Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. datiert werden. Dieses frühe Datum am Beginn skythischer Kunst und Kultur ist nur ein Aspekt dieser sensationellen Entdeckung eines deutsch-russischen Archäologenteams im Tal von Arschan in der autonomen Republik Tuva. Der andere ist die Unberührtheit des Grabes. Als im Juli 2001 die Grabkammer geöffnet wurde verschlug es dem Grabungsteam die Sprache: Gold soweit das Auge reichte – schwere Halsringe, Haarschmuck, Dolche, Tausende kleiner Tierfiguren, Gewandnadeln und vieles andere mehr. Es war wohl die atypische Lage des Hauptgrabes an der Peripherie des Kurgans, die es vom Schicksal anderer skythischer Königsgräber, die fast durchweg von Grabräubern ausgeplündert waren, verschont hat. Die vorliegende weltweit erste Publikation dieses aus 5.600 Einzelobjekten bestehenden Goldschatzes ist vor allem deshalb bedeutsam, weil hier außerordentlich frühe Zeugnisse des skythischen Tierstils gezeigt werden. Während die meisten skythischen Goldfunde einige Jahrhunderte jünger sind und deutlich griechischen Einfluss verraten, möglicherweise sogar von griechischen Handwerkern geschaffen wurden, präsentiert der Goldschatz von Arschan reinen Steppenstil und er zeigt, dass das Reitervolk der Skythen schon sehr früh eine künstlerisch und handwerklich hoch stehende Kultur entwickelt hatte. Die schon genannten kleinen Raubkatzen, gegossen für den Umhang des Fürsten und getrieben für das Gewand der Frau, Eberfigürchen, die den Köcher zierten, Pferde, Widder, Greifenköpfe und vor allem die vollplastische Hirschfigur, die eine Ziernadel krönt, dokumentieren in großartiger Weise den mit den Skythen eng verbundenen Tierstil. Alter und Fundort in der südsibirischen Steppe sind ein Beleg für den Ursprung dieser Tiertradition im Herzen Asiens und nicht, wie gelegentlich vermutet wird, im Iran. Ritzbilder auf Felsen in Sibirien und der Mongolei, besonders die mit Tiermotiven geschmückten Hirschsteine in der mongolischen Steppe wird man dann wohl als die Vorläufer dieser Tierkunst ansehen können. Diese Tierkunst, wundervoll fotografiert vom Vladimir Terebenin, dem Fotografen der Eremitage, steht im Mittelpunkt des großformatigen Buches, begleitet von einem illustrierten Essay über die Geschichte und Kultur der Skythen und über Details der archäologischen Sensation von Arschan. Das Buch schließt mit Auszügen aus Herodot, dessen präziser Geschichtsschreibung wir die wichtigsten schriftlichen Berichte über dieses schriftlose nomadische Reitervolk verdanken. So öffnet sich ein Blick in eine Kultur, die sich sonst nur aus ihrem Totenkult erschließt. Denn die unsteten Spuren schriftloser antiker Nomadenvölker sind nur dort zu entdecken, wo sie sich dauerhaft in die Erde eingegraben haben. Was hier allerdings moderne Archäologie mit den begleitenden Wissenschaften zu leisten vermag, ist erstaunlich. Und so hat, wie Hermann Parzinger, Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts am Ende seines Essay voraussagt, dieser Jahrhundertfund uns noch nicht sein letztes Geheimnis preisgegeben.

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